Seit März dieses Jahres fährt der erste „europäische“ Bell B60E bei den Schiewe Steinbruchbe-trieben in Lemgo/Kirchheide. Der revolutionäre Allrad-Zweiachser setzte sich gegen andere Sechzigtonner-Dumperkonzepte durch und arbeitet jetzt als Produktionsfahrzeug in der Muschelkalk-Gewinnung. Im Betrieb überzeugt der Bell B60E durch eine hohe Flexibilität und große Wirtschaftlichkeit.
Mit drei Kalkstein-Betrieben im Raum Detmold/Lemgo zählen die 1949 gegründeten Schiewe Steinbruchbetriebe zu den größten Naturstein- und Baustoffanbietern der Region Ostwestfalen-Lippe. Stationäre Werke mit angeschlossenen Beton- und Asphaltproduktionen am Hauptsitz Detmold/Bentrup und im östlich gelegenen Sonneborn/Barntrup decken die gesamte Palette hochwertiger Gesteinskörnungen für Bauanwendungen ab. Darüber hinaus liefert Schiewe Mineraldünger und engagiert sich seit geraumer Zeit im qualifizierten Recycling von Altbaustoffen aus dem Straßen- und Hochbau. Seit 2000 wird auch am Standort Lemgo/Kirchheide Muschelkalk abgebaut. Gut 300 000 Tonnen Grobkörnungen für den Straßenunterbau, Bauwerksfundierungen und geologische Barrieren werden hier derzeit mit mobiler Aufbereitungstechnik pro Jahr produziert. Bis zum Ende des Jahrzehnts plant das in dritter Generation geführte Familienunternehmen in Kirchheide die Errichtung einer weiteren stationären Großbrechanlage.
Anspruchsvolle Transportaufgaben
Etwa 20 Hektar umfasst heute die Gesamtbetriebsfläche in Lemgo/Kirchheide, davon etwa die Hälfte im aktiven Abbau. Ein großer Teil der übrigen Fläche ist bereits verfüllt – hier soll das neue Werk errichtet werden. Der Abbau erfolgt sprengungsfrei mit 120-t-Hochlöffelbagger, bis 60 Meter Tiefe erreichen heute die sechs aktiven Sohlen. Entsprechend kennzeichnen enge Kehren und Steigungen bis 30 % die maximal 1000 Meter langen Umläufe zur bergseitig platzierten mobilen 0/100-Grobstückabsiebung als erster Produktionsstufe. Aufgrund des Ganzjahresbetriebs und des großen Abraumanteils – unter anderem durch die bis zu fünf Meter mächtige Deckschicht – setzte Betriebsleiter Thomas Kalkreuter bislang auf zwei 6x6-Vierzigtonner in der Förderkette. Wie alle konventionellen Großdumper brachten jedoch auch diese im Steinbruch-Betrieb die üblichen Defizite von Erdbaumulden: Bei drei Arbeitsspielen der 7,7-m³-Klappschaufel war im typischen Haufwerk selbst mit Rangieren Schluss – trotz Bordwanderhöhung gingen die Knicklenker mit lediglich 35 Tonnen Nutzlast auf Tour. Weitere konzeptionelle Zugeständnisse an die Dreiachser waren die eingeschränkte Wendigkeit auf den maximal 30 Meter breiten Bermen und die aufwändige Fahrwegspflege in engen Kehren durch die Kurvencharakteristik der hinteren Doppelachse, die zudem erhöhten Reifenverschleiß bringt.
„Vorrangig ging es uns natürlich um den Produktivitäts-Vorteil, als wir im Rahmen der Ersatz-Investition die neuen Allrad-Knicklenker der 60-Tonnen-Klasse eingehend geprüft haben“, erklärt Thomas Kalkreuter. „Trotz vergleichbarer Nutzlasten und Muldengrößen sind die Konzepte recht verschieden und letztlich hat wohl die größere ‚Steinbruch-Nähe‘ des Bell B60E den Ausschlag gegeben,“ kommentiert Kalkreuter die Schiewe-Entscheidung, den europaweit ersten Bell-Sechzigtonner zu übernehmen. Anfang März wurde der Zweiachser nach Lemgo/Kirchheide geliefert, zuständig für die Europa-Premiere ist die Niederlassung Bielefeld des Bell-Händlers Kiesel, der auch federführend die Ausrüstung der 35-m³-Gesteinsmulde mit einer Heckklappe begleitete.
Konzept überzeugt
Schnelle 4 Hochlöffel-Arbeitsspiele und der Bell B60E verlässt mit durchschnittlich 54 Tonnen Nutzlast die Ladestelle. Bereits hier rechnet sich die klassische SKW-Muldenform mit flachem Boden, die im grobstückigen Haufwerk einen wesentlich besseren Füllungsgrad ohne zeitintensives Rangieren ermöglicht. Selbst nach der zeitnah geplanten Aufrüstung auf einen 8,0-m³-Hochlöffelbagger bieten 55 Nominal-Tonnen noch ausreichend Reserven für den Baggerführer, der die effektive Nutzlast dank Ladeampel jederzeit im Blick behält. Die automatische Heckklappe dient in Kirchheide hauptsächlich der zuverlässigen Vermeidung von Ladungsverlusten an Steigungen. Rein rechnerisch erhöht sie den Muldeninhalt allerdings um gut 2 m³, was insbesondere im leichter fließenden Abraum den Blick auf die serienmäßig installierte Onboard-Waage durchaus empfiehlt.
Im Betrieb überzeugt der Bell B60E (leer: 42,5 t; beladen 97,5 t) durch ein ausgewogenes, aber jederzeit präsentes Fahrverhalten. Neben systembedingten Vorteilen des Zweiachsers sorgen dafür insbesondere das aktive Frontfahrwerk mit Dumperbereifung (875/65 R29), Lastausgleich und Neigungskorrektur sowie die federbeingelagerte 70-Tonnen-Hinterachse mit gängiger SKW-Zwillingsbereifung (24.00 R35). Über automatische Differenziale in Achsen und Antriebstrang bringt eine 7-Gang-Allison-Automatik die Kraft des 430kW starken Mercedes-Benz Reihen-Sechszylinders (max. 2750 Nm bei 1300 U/min) an alle vier Räder. Wie in allen Bell-Großdumpern der neuen Generation arbeiten großdimensionierte Ölbadlamellenbremsen als Betriebsbremse und übernehmen auch die mehrstufig vorwählbare automatische Retarderfunktion. Weitere Pluspunkte des umfangreichen serienmäßigen Sicherheits- und Komfortpakets von Bell Equipment sind sensorgestützte Assistenten, die den Fahrer an der Kippstelle und in typischen Fahrsituationen (Berganfahrt, lange Gefällstrecken, etc.) unterstützen und damit für produktive Abläufe sorgen.
Übersetzt in die Betriebspraxis der Schiewe Steinbruchbetriebe bedeutet dies nach rund zweimonatigem Einsatz einen Durchschnittsverbrauch von knapp 20 l/h pro Stunde bei einem rechnerischen Transportmittel von etwa 275 t/h. Die Daten stammen aus dem satellitengestützten Bell-Flottenmanagement Fleetm@tic, das in Kirchheide und insbesondere am Schiewe Hauptsitz Detmold/Lemgo aktiv für die technische Überwachung und Leistungsevaluierung des Bell B60E genutzt wird.
„Eierlegende Wollmilchsau“
Entscheidend für Betriebsleiter Thomas Kalkreuter ist jedoch, wie gut sich der Bell B60E in die bestehende Betriebsorganisation einpasst und welche Vorteile das 4x4-Konzept gegenüber der bisherigen Technik bietet. „Der große Bell hat sich nahtlos eingefügt. Das gilt für das Laden im Bruch, wo er sehr gut mit dem Hochlöffel harmoniert und mit seiner SKW-typischen Wendigkeit punktet. Auch in der Rückverladung an Sieb oder Brecher ist er einsetzbar, wobei unsere 5,5-m³-Radlader hier in der Ladehöhe schon an ihre Grenzen stoßen.“ Im Umlauf zeigt der Sechzigtonner absolut vergleichbare Fahrleistungen zu den ungleich leichteren Schiewe-6x6, wobei diese gerade unter Volllast ähnliche Verbrauchswerte aufweisen.
„Der 4x4 überzeugt am Berg, in engen Kurven – wo er tatsächlich weit weniger ‚wühlt‘ – und auch im Abraum, wo er oft parallel zur Produktion fährt.“ Dies gilt insbesondere für Störungen im anstehenden Gestein, die der Bell B60E an der Wand aufnimmt und selbst bei schwieriger Witterung direkt an die vorgesehene Verfüllstelle transportiert. Etwa 20 % oder rund 10.000 m³ seiner vorgesehenen Jahres-Transportleistung werden voraussichtlich auf Abraum entfallen. Dabei übernimmt der Bell B60E mit Fahrer Mike Bretten die Produktion jetzt im Solo-Betrieb: die bestehenden 6x6 bleiben auf „Stand-By“ im Betrieb und werden vorrangig im Abraummanagement eingesetzt.