An die Elektrifizierung des Ankerbohrgeräts Klemm KR 806-3E wurden mehrere Anforderungen gestellt: Das Bohrgerät sollte ihrem konventionellen Pendant, der Klemm KR 806-3GS, in der Bohrleistung und in den Anwendungsmöglichkeiten ebenbürtig sein. Auch eine einfache Bedienung war ein wichtiger Faktor; daher entschied man, das gesamte Bedienkonzept (Funkfernsteuerung) beizubehalten. Außerdem sollte eine für die Baustelle leicht zu beschaffende Baustromversorgung mit einem Anschluss von max. 125 A/400 V AC genutzt werden können. Um Entwicklungsrisiken abzusichern, wurde entschieden, im ersten Schritt den bekannten hydraulischen Teil des Antriebsstrangs beizubehalten, inklusive der »Load-Sensing«-Hydraulikkreise und der hydraulischen Verbraucher (Zylinder, Hydraulikmotoren usw.). Daher spricht Klemm Bohrtechnik von einem elektrohydraulischen Antriebsstrang. Damit erhält der Nutzer die Möglichkeit, vorhandene Bohrsysteme und Komponenten wie Drehantriebe usw. weiter zu nutzen.
Effiziente Energieversorgung
Um die Energieversorgung zu berechnen, wurden zunächst die Betriebsdaten einer größeren Anzahl von Ankerbohrgeräten mit gleicher Leistung ausgewertet. Es wurde festgestellt, dass die Leistungsabnahme bei Ankerbohrgeräten im Leistungsbereich von 160 bis 175 kW im Durchschnitt bei maximal 35 Prozent liegt. Dies liegt an der typischen, intermittierenden Arbeitsweise mit Unterbrechungen durch Gestängewechsel, Ankereinbau usw. Über einen längeren Zeitraum beträgt der Leistungsbedarf somit etwa 56 kW. Ein 400 VAC / 125 A Anschluss kann eine elektrische Leistung von etwa 86 kW liefern. Daher lag es nahe, den restlichen Leistungsbedarf der Maschine bei Leistungsspitzen durch eine Batterie sicherzustellen. Diese Batterie wird automatisch geladen, wenn der Leistungsbedarf 86 kW unterschreitet.
Bei einer Batteriekapazität von 140 kWh brutto und einem 125 A-Anschluss sollte eine kontinuierliche Nutzung der Maschine unter normalen Bedingungen problemlos möglich sein, zusätzlich eine off-grid Benutzungsdauer von circa 2 bis 3 Stunden. Weil die Entladeleistung der Batterie ausreichend hoch ist, sind im off-grid-Betrieb nicht nur Verlade-, Fahr- und Rangiervorgänge möglich, sondern sämtliche Bohrfunktionen stehen mit maximaler Leistung zur Verfügung, zeitlich jedoch begrenzt. Der Antriebsstrang könne auch ohne Batterie konfiguriert werden, dann sei allerdings eine Anschlussmöglichkeit mit nominal 250 A erforderlich. Das Gerät hat keine Onboard-Charger, wodurch ein permanenter, hoher Stromfluss durch die Batterie vermieden und die Batterie geschont wird. Kühl- und Heizsysteme für die Batterie, den Elektromotor und die Leistungselektronik sind vorhanden oder bei Bedarf nachrüstbar. Die Entwicklung der Software für das Batterie- und Energiemanagement war eine weitere, umfangreiche Aufgabe. Die Software wurde vollständig neu von Klemm entwickelt, ebenso die eigentliche Maschinensteuerung.
Entwicklung eines Prototyps
Zunächst galt es, die Qualifikation des beteiligten Personals für Arbeit an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen sicherzustellen. In Deutschland z. B. regelt dies die Vorschrift DGUV 209-093. Die Batterie, der Trenntransformator und ein Teil des Thermomanagements wurden in einem »Backpack« am Heck der Maschine angeordnet und sind somit sehr gut zugänglich. Der Prototyp der KR 806-3E wurde auf der Bauma 2022 erstmals öffentlich ausgestellt. Es folgten weitere Tests im Werk Klemm, unter anderem zum Verhalten des Inverters und des Filters, zum Kälteverhalten, zur Geräuschemission und zum Batteriemanagement.
Einsatz auf der Baustelle
Nach einer ausführlichen Schulung des Bedienpersonals wurde das Bohrgerät ab Ende Oktober 2023 mehrere Wochen lang vom Unternehmen Bauer Funderingstechniek auf einer Baustelle in den Niederlanden eingesetzt. Hier wurden zwecks Verbreiterung der Autobahn A9 in der Nähe von Rotterdam Mikropfähle (Durchmesser 152 mm, maximale Tiefe 42 m) über eine Länge von 1,6 km hergestellt. Das Bohrgerät KR 806-3E habe man von Beginn an problemlos einsetzen können. Auf der Baustelle waren zudem weitere acht Klemm-Ankerbohrgeräte mit Dieselantrieb im Einsatz, einige davon mit dem Telemetriesystem »Datalink Air«. Somit ließen sich unter anderem die Maschinenfunktionen, das Energiemanagement und der Batteriezustand nahezu online verfolgen und mit den vorberechneten Werten vergleichen. Als temporäre Lösung für die Energieversorgung während der Erprobung der KR 806-3E hatte sich der Betreiber für einen 200 kW Stromgenerator anstelle eines Baustromanschlusses entschieden. Die Auswertung der Energieflüsse habe ein »einwandfreies Verhalten beim Laden und Entladen der Batterie« gezeigt. Der durchschnittliche Verbrauch an elektrischer Energie pro Betriebsstunde betrug bei der KR 806-3E 32 kWh. Zum Vergleich: Auf derselben Baustelle betrug der stündliche Energieverbrauch an Diesel einer KR 806-3GS 93 kWh. Vom Baustellenpersonal wurde die spürbar geringere Lärmemission des Bohrgeräts als sehr angenehm empfunden. Seit Juni 2024 befindet sich das Gerät zudem im Einsatz bei einem anderen Unternehmen auf einer Baustelle in Den Haag. Derzeit wird das Antriebskonzept überarbeitet. Ziel ist, die Komplexität weiter zu verringern und gleichzeitig eine noch kompaktere und leistungsstärkere Version zu fertigen.j