Wäre die A5 am besagten Besuchstag etwas weniger frequentiert gewesen, hätte das Navi sicherlich die Standardroute präferiert. Die alternative Anfahrt über die Autobahn ist natürlich für die Hauptzielgruppe von Doll geeignet: Schwerlast- und Sondertransporte aller Art. In dieser Fahrzeugkategorie ist das Unternehmen nach Aussage von Renato Ramella »in vier Geschäftsbereichen sehr gut aufgestellt«. In enger Absprache mit dem Kunden konzipiert und vor Ort gefertigt werden Transportlösungen für Rundholz und Forstmaschinen, Schwer- und Sondertransporte und Defence-Logistik sowie Windflügel. Dazu kommt noch der Spezialbereich Airport Equipment mit Hubscheren-Fahrzeugen für Catering und Reinigung sowie medizinische Transporte direkt ans Flugzeug.
Renato Ramella dazu: »Seit 1878 werden am Standort bei Doll zunächst Werkzeuge sowie Wagen für die Arbeit im Wald und mit zunehmender Motorisierung nach und nach ausgereifte Sonderfahrzeuge nach kundenindividuellen Anforderungen entwickelt und mit einer hohen Fertigungsstandardisierung hergestellt. Heute sind wir an drei Standorten vertreten: Am Stammsitz in Oppenau bedienen wir die Kunden in den Geschäftsbereichen Airport Equipment, Schwerlasttransport sowie Defence-Logistik und entwickeln sowie fertigen die Produkte dort komplett selber, angefangen vom Rohbau bis zur Sonderlackierung. Im sächsischen Mildenau liegt das Zentrum für Holztransportfahrzeuge und in New Jersey stellen wir die Montage und den Support für unsere nordamerikanischen Kunden im Airport Equipment sicher.«
Die Standortaufteilung folgt der Unternehmensstrategie und einer klaren Strukturierung in den Geschäftsbereichen. Natürlich hat man dabei auch darauf geachtet, möglichst nah am Kunden zu sein: Mildenau beispielsweise liegt sehr nahe zum waldreichen Polen. Die Doll-Präsenz an der Ostküste der USA befindet sich in der Nähe der Großflughäfen New York und Washington D.C. In Europa ist das Unternehmen in den Geschäftsbereichen Holztransportfahrzeuge und Airport Equipment nach eigenen Aussagen marktführend.
Am Stammsitz in Oppenau hingegen herrschen die historisch gewachsenen Strukturen vor: Auf der einen Seite liegen die Bahnlinie sowie der Berg und auf der anderen die Hauptstraße mit den Häusern der Stadt. Ramella ergänzt: »Im hier zur Verfügung stehenden Platz nutzen wir bereits jeden Quadratzentimeter. Aufgrund der besonderen Lage ist das Firmengelände jedoch eher in die Länge lang gezogen, da wir uns weder nach links oder rechts erweitern können.«
Effizienz trotz(t) Platzmangel
Beim Gang über das Werksgelände in Oppenau fällt sofort eine gewisse Umtriebigkeit auf: Bauteile unterschiedlicher Art – Achskomponenten sowie diverse Quer- und Längsträger – werden laufend von einer Halle zur nächsten gebracht, nebenbei wird die Sensormechanik eines Stahlhubscheren-Fahrzeugs am Hallendach getestet und dazwischen pendeln Fahrzeuge mit Personen und weiterem Material. Ramella liefert die Erklärung dazu: »Die Verteilung der Gebäude ist der Topografie geschuldet. Aus diesem Grund sind die einzelnen Produktionsschritte leider über Hallen verteilt, die nicht direkt nebeneinander liegen. Wir beherrschen die komplette Wertschöpfungskette unabhängig von externen Dienstleistern: Angefangen vom Rohbau und der Teilefertigung über die Beschichtung und kundenindividuelle Lackierung bis zur Endmontage und -abnahme findet alles in Oppenau statt. Über unsere qualifizierte Lieferantenstruktur, quasi unsere ›verlängerte Werkbank‹, kaufen wir flexibel und je nach Losgröße Komponenten zu, wobei wir die technologischen Kernkompetenzen immer in der eigenen Fertigung belassen.« Die Platznot macht erfinderisch: »Anstatt Achskomponenten auf Holzpaletten zu verzurren und in Fahrzeuge zu verladen oder mit Gabelstaplern zu verfahren, haben wir kurzerhand in einem Lehrlingsprojekt maßgeschneiderte Transportlösungen auf Rädern entwickelt und hergestellt – schließlich sind wir genau darin Spezialist.«
Kurz nach dieser Info fuhr tatsächlich ein Fahrzeug mit mehreren Achsgetrieben auf besagten Rolllösungen im Schlepptau vorbei. Diese einfache und doch effektive Lösung erleichtert nicht nur im Transport über das Gelände, sondern auch in der Produktion. Denn die schweren Bauteile lassen sich dadurch leichter bewegen sowie positionieren. Auf den ersten Blick fiel auch die unterschiedliche Lackierung sowohl der Bauteile als auch Rolllösungen auf – zum Zeitpunkt des Besuchs herrschte Olivgrün vor, die Farbe der Bundeswehr. Dem liegt ein besonderer Großauftrag zugrunde.
Schneller als erwartet fertig
Am 1. Juni 2022 hat das BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) mit Doll einen Rahmenvertrag über die Lieferung von bis zu 249 militarisierten 8-Achs Sattelaufliegern geschlossen. Die offiziell bezeichneten »SaAnh 70t mil« sollen vor allem für den Transport und die Bergung des Kampfpanzers Leopard 2 A6M/A7V eingesetzt werden, können aber auch anderes Großgerät sowie Container schultern. Um für ein breiteres Einsatzszenario gerüstet zu sein, ist der Bundeswehr-Sattelauflieger zudem geländefähig. Dafür sind die Fahrzeuge mit Doll Pendelachse und 19‘‘-Bereifung ausgestattet. Für den Einsatz auf der Straße oder im leichten Gelände werden für weitere Kundeaufträge 8-Achs-Sattelauflieger mit der 17.5‘‘ Doll panther-Doppelquerlenkerachse eingesetzt. Die niedrige Bauhöhe dieser Sattelfahrzeuge ermöglicht auch bei höheren Ladungsgütern die Unterfahrung von Brückenbauwerken.
»Unmittelbar nach der Unterzeichnung der Papiere begannen wir mit der Produktion des ersten Loses«, so Ramella. Im Monat können etwa sechs Sattelanhänger hergestellt werden. Bereits im Dezember 2022 erfolgte die Auslieferung der ersten an das Materiallager der Bundeswehr in Karlsruhe, 17 weitere folgten im Juni 2023 (das bauMAGAZIN berichtete in Heft 08/23 auf Seite 175) und am 5. Oktober fand schließlich die Übergabe des 31. Sattelaufliegers aus dem ersten Los einschließlich Zubehör und Dokumentation statt. »Und das satte drei Monate vor dem vereinbarten Termin, worauf sowohl die Belegschaft als auch ich zu Recht stolz sind«, freut sich Ramella.
»Bis dahin waren jedoch große Hürden zu meistern – und das nicht nur in technischer Hinsicht. Beispielsweise sind wir verpflichtet, für zehn Jahre identische Ersatzteile zu liefern. Ebenso muss abgesichert sein, dass alle 249 Fahrzeuge bis ins kleinste Detail, wie z. B. die Leitungsverlegung, exakt identisch aufgebaut sind und dies dokumentiert ist. Nicht unbedingt selbstverständlich im Sonderfahrzeugbau. Zudem waren im Vorfeld der Konstruktion die speziellen Ausstattungswünsche der Bundeswehr zu berücksichtigen, wie etwa eine maximale Watfähigkeit nach Militärstandard inklusive einer wasserdicht abgekapselten Hydraulikeinheit, ein Lackaufbau nach Militärstandard einfarbig oder Flecktarn sowie eine über den zivilen Standard nach ECE R10 hinausgehende, elektromagnetische Abschirmung der Elektronik«, so Ramella.
»Atmende Produktion«
Zugute kamen Doll bei diesem Großprojekt die Erfahrungen aus den anderen Geschäftsbereichen, vielen Kundenprojekten sowie die Maßnahmen, die seit der Umstrukturierung der internen Prozesse ab 2018 umgesetzt wurden. Laut Ramella »besteht die Kunst darin, Projekte jeder Art möglichst umfänglich zu beherrschen«. »Mit einem Netzwerk an Lieferanten können wir »atmen« und die Supply Chain absichern, auch wenn diese – wie bei Corona oder einem querliegenden Containerschiff – unterbrochen werden sollte.«
Für den in der Branche vorherrschenden Fachkräftemangel hat Ramella ein wirksames Rezept gefunden: »Wir setzen bei der Fertigung auf eine hochdetaillierte Dokumentation bis hinunter zu bestimmten Handgriffen. Dadurch sind wir in der Lage, Großaufträge wie den von der Bundeswehr ohne Zeitverzug oder gar Einbußen bei der Qualität durchzuführen. Als beispielsweise während Corona die Aufträge bei Airport Equipment zurückgingen, konnten die Werker problemlos Aufträge aus anderen Geschäftsbereichen übernehmen. Dadurch wird eine ›atmende Produktion‹ möglich – ein immens wichtiger Faktor angesichts der Schnelligkeit, wie sich Märkte aktuell entwickeln.« Kurzfristige Spitzen in der Produktion kann Doll über den Einsatz von Leiharbeitern abfedern.
Ausgeklügelte Software an Bord
Das generelle Ziel einer höheren Standardisierung treibt Doll nach Aussagen von Ramella weiterhin voran, auch im Hinblick auf die Marktentwicklung: »Der Anteil von Sonderfahrzeugen für das Militär wird sich in den nächsten Jahren auf bis zu 60 % erhöhen. Das liegt auch daran, dass wir es hier generell mit langen zeitlichen Vorläufen zu tun haben – das erleichtert uns jedoch die Planung sowohl aus technischer als auch wirtschaftlicher Sicht.« Lösungen wie das bewährte Trailer-Management-System »Doll-Control« finden sich in allen relevanten Produkten. Sie erleichtern dem Fahrer in jeder Art der Nutzung dank Funktionen wie dem automatischen Einspuren und der Zusatzlenkung auf Knopfdruck die Arbeit. Dazu Ramella: »Der Maschinenführer kann eigentlich nichts falsch machen, da die Bedienelemente intuitiv bedienbar sind und jederzeit klares Feedback über den aktuellen Betriebszustand bieten. Der Schulungsaufwand reduziert sich hier – Stichwort Fachkräftemangel – auf ein Minimum.«
Überraschend ist der hohe Anteil des »unsichtbaren« Know-hows, der in der durchgängig eigenentwickelten Software für die CAN-Bus-Assistenzsysteme zur Steuerung von Achsen, zur Fahrniveau-Änderung sowie im Bereich Airport zur Abstands- und Annäherungsmessung in allen Produkten steckt und die Aussage von Ramella zur »Beherrschung von Projekten« mit Nachdruck unterstreicht. Der Qualitätsgedanke steht über allem und Ramella lädt Kunden sowie Interessenten dazu ein, sich selber davon zu überzeugen: »Technik lässt sich zwar gut beschreiben, aber noch besser selber erleben. Unsere Türen stehen der Industrie offen und ich lade dazu ein, unsere Fahrzeuge einfach zu testen. Die Vorzüge erschließen sich dann automatisch.« Wer dem Aufruf folgt, hat – siehe Einleitung – zwei Möglichkeiten zur Anreise: Die eine bietet als Bonus zwar eine grandiose Aussicht über den Schwarzwald, dafür besteht auf der anderen die Chance, einem Doll-Produkt im Rahmen der Abholung außerhalb der Werkshallen zu begegnen. s