coreum Zukunft gestalten: »Traut euch!«

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Von: Thomas Seibold

Am 28. und 29. Februar fand die mittlerweile dritte Zukunftskonferenz »Bits and Machines (BAM)« im Coreum in Stockstadt am Rhein statt. Neben der idealen Örtlichkeit zur Präsentation praxisbezogener Bauthemen hätten die Veranstalter auch keinen passenderen Zeitpunkt wählen können. Die Baubranche sieht sich aktuell mit Herausforderungen unterschiedlichster Art konfrontiert, wie etwa einem Auftragsrückgang insbesondere im Wohnungsbau, dem zunehmenden Fachkräftemangel, steigenden Umweltanforderungen und der Digitalisierung. Darauf abgestimmt waren die Themen auf der BAM, welche den knapp 200 Teilnehmern präsentiert wurden.

Im Fokus der von Björn Hickmann, Geschäftsführer der Coreum GmbH, moderierten Veranstaltung unter dem Motto »Zukunft gestalten« standen drei Hauptthemen: die weitreichende Vernetzung von Menschen, Maschinen und Diensten, mehr Nachhaltigkeit in Bauprojekten aller Art sowie nicht zuletzt der Mensch als ausführendes Bindeglied dazwischen. Ein Rückblick mit Fokus auf die Baubranche.

Plädoyer für mehr Macherinnen am Bau

Barbara Hagedorn, Geschäftsführerin der ­Hagedorn Unternehmensgruppe, nahm das Fazit der BAM quasi vorneweg: »Traut euch!«. Denn ihr Vortrag mit dem Thema »Frau am Bau – Berge auf der Baustelle und in den Köpfen versetzen« ging auf die Herausforderungen des Fachkräftemangels ein. Von den derzeit 40 000 Azubis am Bau sind nur 7 % weiblich. Der allgemeine Frauenanteil im Hoch- und Tiefbau wird auf verschwindend geringe 1 bis 3 % geschätzt. Dazu kommt, dass ein Viertel der deutschen Baufacharbeiter in den nächsten 10 Jahren altersbedingt ausscheidet.

Aus diesem Grund sollten Frauen als potenzielle Arbeitskräfte nicht länger vernachlässigt werden. Hagedorn ist davon überzeugt, dass es dank neuer Arbeitsmethoden und dem technischen Fortschritt kaum einen Job gibt, den Frauen nicht auch schultern könnten. Bereits 2020 startete sie die »Frau am Bau«-Kampagne und konnte den Anteil weiblicher Mitarbeiter im Unternehmen auf 24,6 % steigern – der Durchschnitt im Baugewerbe liegt bei 13 %. Von den aktuell 58 Azubis sind 17 Frauen. »Berge in den Köpfen zu versetzen geht nicht von heute auf morgen. Veränderungen gelingen nur gemeinsam«, so Barbara Hagedorn.

Während der Pausen fand ein reges Networking zwischen  den Teilnehmern, Referenten und dem Veranstalter statt.

Von Traumbildern zu Traumhäusern – dank KI

Das Thema von Dominik Steuer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) lautete »Ist Künstliche Intelligenz der Baumeister der Zukunft?«. Im Rahmen des Forschungsprojekts »SDaC« (Smart Design and Construction) werden im KIT die Auswirkungen und Möglichkeiten von KI auf die Bauindustrie untersucht. Die Grundlage dafür ist, dass eine Künstliche Intelligenz mittlerweile natürliche Sprache verstehen und daraus Antworten in Form von Text oder Bildern generieren kann. Anstelle von surrealen Traumlandschaften ist es da nur ein kleiner Schritt zu täuschend echt aussehenden Traumhäusern. Wie Dominik Steuer in seiner Präsentation eindrucksvoll zeigte, kann über eine Änderung der Paramater jeder Kundenwunsch hinsichtlich Farbe und Material des Bodens und der Wände sowie Anzahl und Positionierung der Fenster visualisiert werden – und das in Sekundenschnelle.

Bereits am Anfang seines Vortrags wies Dominik Steuer darauf hin, dass sämtliche Konzeptzeichnungen, Moodboards und Häuser in seiner Präsentation KI-generiert sind. Zur Herstellung der fotorealistischen Bilder wurden zunächst mit der Software ChatGPT die Anforderungen formuliert und anschließend mit Midjourney visualisiert. Auch wenn der eine oder andere Winkel nicht perfekt passte oder ein Statiker beim Betrachten graue Haare bekommt, überzeugte vor allem der hohe Detailreichtum. Passend zu den Objekten an sich wurden auch dazugehörige Elemente – wie Geschirr in der Küche, ein Sofa mit Polstern im Wohnbereich oder Liegen neben dem Pool im Außenbereich – generiert.

PwC-Studie zur Digitalisierung der Bauindustrie

Dr. Martin Nicklis, Director Head of Engineering & Construction der PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, stellte die Ergebnisse der Befragung »Bauindustrie unter Druck« im Auftrag von PwC Deutschland unter 100 Bauunternehmen, Planern und Projektsteuerern vor. Die Erkenntnis daraus: Die aktuellen Krisen – Inflation und hohe Zinsen, Ressourcenknappheit und Klimakrise – haben deutliche Auswirkungen auf die Geschäftsaktivitäten in der Bauindustrie. Jedes zweite befragte Unternehmen bekommt sie deutlich zu spüren. Während die Einführung digitaler Technologien in der Branche stockt, geht es in Sachen Nachhaltigkeit voran, so die Ergebnisse der Befragung. Die Studie wird in der kommenden Ausgabe im Detail vorgestellt. Dr. Nicklis stand dem bauMAGAZIN zudem für ein Kurzinterview zur Verfügung (siehe Kasten auf Seite 24).

Dominik Steuer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit einem der KI-generierten Häuser.

2035: Kein Blick in die Glaskugel, dafür Fakten

Sven Gábor Jánszky vom Zukunftsforschungsinstitut 2b Ahead Think Tank aus Leipzig zeigte in seinem Vortrag »2035: Wie viel Mensch verträgt die Zukunft?« auf, wie rasant die Digitalisierung und Automatisierung aufgrund aktueller Entwicklungen branchenübergreifend vorangehen werden. Dabei wird es seiner Erkenntnis nach Unternehmen geben, die auf moderne Technologien setzen werden (visualisiert anhand einer aufstrebenden roten Linie), und wiederum andere, die weiterhin auf etablierten Methoden der Vergangenheit beharren (dargestellt als flach verlaufende blaue Linie). Den Unterschied zwischen den unterschiedlichen Zukunftsprognosen nannte er »Reality-Gap«. Welcher Weg dabei erfolgreicher sein wird bzw. einem Unternehmen dabei hilft, erfolgreich(er) am Markt vertreten zu sein, liegt für ihn klar auf der Hand.

Grundsätzlich sollte seiner Einschätzung nach den Möglichkeiten der Zukunft mehr Vertrauen geschenkt werden als den Erfahrungen aus der Vergangenheit. Denn technologische Neuerungen sorgen seiner Ansicht nach dafür, dass Unternehmensstrategien schnell veralten können. Anstelle des Benchmarkings, also dem Nacheifern eines bestehenden Erfolgsmodells, sollte daher die Strategieentwicklungsmethode »Backcasting« im Vordergrund stehen. Dabei wird zunächst eine wünschenswerte Zukunft des eigenen Unternehmens in zehn Jahren definiert. Anschließend werden »rückblickend« für jedes Jahr die Meilensteine identifiziert, die für den Erfolg notwendig waren.


Live-Podcast von Schweiß & Schwafel: »Make the Baubranche sexy again«

Tag zwei der BAM startete mit einem Live-Podcast von »Schweiß & Schwafel«, hinter dem Ralf Pfefferkorn, CEO & Founder von Sodex Innovations aus Österreich, und Philipp Ellsäßer, CEO von Qiky und Tibatek, stehen. Im Gespräch hatten sie ­VDBUM-Geschäftsführer Dieter Schnittjer und Stefan Schellhorn, Geschäftsführer von Schellhorn Außenanlagen aus Horgenzell. Getreu dem Motto »Make the Baubranche sexy again« wurde über aktuelle Branchen-Trends in der Digitalisierung sowie den Fachkräftemangel diskutiert. Speziell zum zweiten Punkt stellte Stefan Schellhorn seine Erfahrungen vor, wie sich sein Unternehmen möglichst attraktiv für Mitarbeiter macht. Eine Maßnahme besteht beispielsweise darin, dass die Angestellten dort ihr Wunschgehalt bekommen können. Das Reinhören in den Podcast lohnt sich!

3D-Live-Vermessung im Coreum

Senior Account Executive Harald Saeger und Senior Account Executive DACH Thorsten Klaus, beide von NavVis, hatten nicht nur ihre Präsentation, sondern auch das SLAM-basierte mobile Mappingsystem NavVis VLX 3 mit dabei und zeigten dieses live im Einsatz. Im Rahmen des Vortrags lief Thorsten Klaus die Veranstaltungshalle systematisch ab. Vier Kameras erzeugten für eine 360°-Erfassung dabei 1,2 Mio. Datenpunkte pro Sekunde, wobei die Genauigkeit bei bis zu 5 mm liegt.

Die Prozessierung der Inhalte zur Erstellung hochauflösender Panoramabilder erfolgte anschließend vollautomatisch in der Cloud und konnte direkt visualisiert werden. Dabei wurden die anwesenden Personen ausgeblendet. Harald Saeger konnte anschließend eine beliebige Stelle in der Halle im Rahmen eines detaillierten 3D-Modells anzeigen und vermessen. Das System kommt unter anderem zur Bauverifizierung, zur Modellierung und Dokumentation sowie für topografische Vermessungen etwa in Stadtgebieten zum Einsatz, in denen herkömmliche Methoden nicht anwendbar sind.

Moderator der Veranstaltung: Björn Hickmann, Geschäftsführer der Coreum GmbH

Carbon-Removal-Beton als CO₂-Speicher

Das Schweizer Unternehmen Neustark hat eine Methode entwickelt, um im Rahmen von »Negativen Emissionstechnologien« (Carbon Dioxide Removal, CDR) RC-Beton als CO₂-Speicher zu verwenden. Demnach kann eine Tonne Abbruchbeton durchschnittlich 10 kg CO₂ speichern; bei Schlacken und Aschen sind es sogar 20 bis 30 kg, wie Sales Manager Luis Schaub in seinem Vortrag aufzeigte. Aktuell befinden sich bereits 13 Speicher­anlagen im Betrieb und 17 weitere sind im Bau. Unternehmen mit ehrgeizigen Klimazielen können zudem die CDR-Zertifikate des Unternehmens erwerben. Im Herbst letzten Jahres hat Holcim in das Unternehmen investiert und sich verpflichtet, die CO₂-Speichertechnologie von Neustark weltweit in seinen Recyclingwerken einzuführen. Mitte Februar dieses Jahres erwarb Microsoft »Carbon Removal Credits« über 27 600 t für einen Zeitraum von sechs Jahren.

Fazit: »Traut euch«

Die Veranstaltung endete mit der Vorstellung der Preisträger des VDBUM Förderpreises 2024 (das bauMAGAZIN berichtete in Heft 03/24 auf Seite 18) und einem Schlusswort von Björn Hickmann: »Wir sind begeistert von all den Gesprächen, den Impulsen und neuen Netzwerken, die sich auf der Coreum Zukunftskonferenz und abends an der Bar des Coreum Hotels gebildet haben. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich nur so der Grundstein für wichtige neue Zukunftsentwicklungen bilden kann. Und blickt man allein auf die Innovationen der letzten 12 Monate, sind wir schon alle sehr gespannt, was uns bei der kommenden Coreum Zukunftskonferenz am 12. und 13. März 2025 erwarten wird.« Die »Bits and Machines« hat auch dieses Mal wieder gezeigt, dass die Themenauswahl auf den Punkt getroffen wurde und Praxisnähe im Vordergrund steht. Die Entscheider in der Baubranche müssen nun vor allem dazu bereit sein, sich auf die Umsetzung neuer Methoden, Denkweisen und Technologien einzulassen. Oder wie Barbara Hagedorn es formulierte: »Traut euch!«. S

PwC-Studie »Bauindustrie unter Druck«: Kurzinterview mit Martin Nicklis

bauMAGAZIN: Warum stockt nach Ihrer Auffassung und auf Basis Ihrer Umfrage die Digitalisierung gerade?

Martin Nicklis: Bei der Digitalisierung im Bau geht es nicht, dass ich mal ein Projekt digital mache und dann das andere nicht. Das Springen zwischen zwei Abwicklungstechniken ist ein No-Go. Wenn der Bauunternehmer digitalisiert, muss er sein ganzes Unternehmen digitalisieren. Das bedeutet: Systeme und Prozesse umstellen und eine neue IT einführen. Das kostet kurzfristig Zeit und Geld. In der aktuellen Krise meint man, beides nicht zu haben. Langfristig kann dies dann ein großer Fehler sein.

bauMAGAZIN: Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach das Thema ESG für die Bauwirtschaft?

Martin Nicklis: »ESG« besteht aus drei Buchstaben: Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). In der Öffentlichkeit steht das »E« im Vordergrund. Dies wird stark vom Gesetzgeber getrieben, aber auch die Kunden werden an Bedeutung gewinnen. Große Immobilienfonds, aber auch die privaten Endnachfrager werden auf nachhaltig gebaute Immobilien Wert legen und langfristig auch dafür bezahlen. Aber gerade im Bau spielt auch das »S« eine große Rolle. Unfallkennzahlen z. B. sind in vielen Bauunternehmen bereits heute wichtig. Bei der konsequenten Anwendung der Nachhaltigkeitsstandards besteht jedoch noch Luft nach oben: Nur gut ein Drittel der Unternehmen setzt die ESG-Standards bereits vollumfänglich um, wobei sich dieser Anteil im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozentpunkte erhöht hat.

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