Auf Einladung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann reiste Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer im September 2018 nach San Francisco, um bei der dortigen Klimakonferenz „Global Climate Action Summit“ die Kampagne „Tübingen macht blau“ vorzustellen. Palmer wollte aufzeigen, mit welchen Mitteln es in Tübingen gelungen ist, den CO2-Ausstoß von 2006 bis 2014 um rund 20 Prozent zu senken und mit welchen Maßnahmen weitere Klimaziele erreicht werden sollen. Er lobte Thunberg, die am 25. September 2019 mit dem alternativen Nobelpreis für ihren Einsatz zum Schutz des Klimas ausgezeichnet wurde, für ihren „unschätzbaren Dienst“ für den Klimaschutz. In ihrer UN-Wutrede hatte die Schülerin den Regierungschefs und wichtigen Politikern vorgeworfen, sie hätten kommende Generationen im Stich gelassen, den Jugendlichen die Kindheit gestohlen. „Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens. Wie könnt Ihr es wagen zu glauben, dass man das lösen kann, indem man so weitermacht wie bislang?“, sagte sie in New York. Nach dem Gipfel redete Boris Palmer in Form eines offenen Briefes der Klima-Aktivisten Greta Thunberg ins Gewissen: „Wir dürfen nicht in Panik geraten, weil wir dann die Strukturen zerstören,... die wir auch brauchen, um den Klimawandel zu stoppen.“
OBM Palmer ist ein Mann, der sich einmischt. Besonders in der Politik, was vielen in Berlin nicht gefällt. Im September 2019 erschien auch sein neues Buch – es trägt den Titel: „Erst die Fakten – dann die Moral. Warum Politik mit der Wirklichkeit beginnen muss.“ Darin macht er deutlich, dass sich die aktuelle Politik – besonders auch die Umweltpolitik – sehr fern von jeglicher Realität bewegt. Nach Bekanntwerden des Klimapaktes der Bundesregierung äußerte er sich ebenfalls kritisch – dies sei alles illusorisch: Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Tübingens Oberbürgermeister setzt derweil in der eigenen Stadt klare Signale in Sachen Klimaschutz und Klimawandel und zeigt, wie das vor allem praktisch funktionieren kann. Auch die Umgestaltung des Europaplatzes leistet einen Beitrag dazu, noch dazu einen, der ohne die von Boris Palmer angesprochene Panikmache auf der Nutzung bestehender Strukturen, hier der ingenieurtechnischen Leistungen der am Projekt beteiligten Ingenieure und Planer und der von ihnen genutzten Innovationen, erbracht werden wird.
Bus und Bahn stärken – Stadteingang gestalten – urbane Freiräume schaffen: Diese Schlagworte beschreiben das wichtigste Projekt der Tübinger Innenstadt-Entwicklung. Der Umbau des Europaplatzes hat zum Ziel, das Bahnhofsgebäude und den Anlagenpark in das südliche Stadtzentrum zu integrieren. Die Baumaßnahmen werden 2020 beginnen und sind das bisher größte Projekt in Sachen öffentlicher Verkehrsinfrastruktur der Universitätsstadt am Neckar.
Im Zuge der Neuordnung werden der zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) und das Bahnhofsumfeld umgestaltet. Mit dem freiwerdenden Baufeld besteht die Chance, an dieser zentralen Stelle weitere Nutzungen von gesamtstädtischer Bedeutung zu verorten. So wird die Tübinger Innenstadt attraktiver – für die Bürgerschaft und für Gäste der Stadt.
Die Vorstellung des Baubeschlusses der Stadt Tübingen im September 2019 zeigt auf, wo die kommunalpolitischen Schwerpunkte beim Umbau des Europaplatzes liegen. Diese sind:
- Verknüpfung von Bus-, Bahn-, Rad- und Fußmobilität
- eine umwelt- und sozialgerechte Mobilität gestalten
- neue Wege des Bauen als Form eines Beitrages zur Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz
- aktiver Umgang mit der Herausforderung des Klimawandels
- Stadteingang schaffen
- Stadtraum gestalten
- neue Nutzungen ermöglichen
- urbane Freiräume gestalten
- Grünräume aufwerten
- Stadt weiterentwickeln
- Lebensräume für Tiere und Pflanzen schützen und entwickeln
Die vorbereitenden Bauarbeiten für den Umbau des Europaplatzes begannen am Freitag, 4. Oktober 2019, entlang der sogenannten Bügelstraße vor dem Marktladen. Hier wird ein neuer Kanal gebaut. Zudem gibt es neue Leitungen für Strom, Wasser, Gas, Fernwärme und Kommunikation. Diese Arbeiten dauern bis Juni 2020. Auch entlang der Europastraße im Bereich zwischen der Steinlachunterführung und der ehemaligen Expressguthalle werden Versorgungsleitungen verlegt und ein neuer Kanal gebaut. Hier beginnen die Arbeiten Ende November und dauern voraussichtlich bis Ende September 2020. Wie im Baubeschluss deutlich wird, soll der Umbau des Europaplatzes einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, um den Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden.
Im Rahmen des ersten Bauabschnittes müssen in dem Areal zahlreiche Kanäle und Elektroleitungen neu unterirdisch verlegt werden. Für die Planung dieser Arbeiten erhielt die Breinlinger Ingenieure Tiefbau
Visionen werden endlich war: Das Tübinger Bahnhofsvorplatzgelände heute und wie es in einigen Monaten die Gäste und Besucher der Universitätsstadt empfangen wird. Grafiken und Foto: Stadt Tübingen
GmbH aus Tuttlingen den Zuschlag. Bernd Schwär, Geschäftsführer des Unternehmens und als Projektleiter für diese Baustelle verantwortlich, hatte im Vorfeld der Europaplatz-Baustelle gut zu tun. Denn Herausforderungen gibt es hier jede Menge. Bernd Schwär: „Eine der schwierigsten war es bisher, den gesamten Bereich mit unterschiedlichsten Leitungstrassen neu zu ordnen und die verschiedenen Baufelder leitungsfrei zu bekommen. Hierbei wurden die verschiedenen Medien wie Datenleitung (Glasfaser), Strom, Gas, Fernwärme, Wasserversorgung sowie die Entwässerung neu geordnet. Hierbei war eine der wichtigsten Aufgaben, diese Verlegearbeiten unter dem Betrieb des aktuellen ZOB zu gewährleisten. Hierzu musste der Bauablauf in 12 Teilbauphasen unterteilt werden. Den ZOB nutzen täglich 30.000 Fahrgäste. Diese gilt es auch während der Bauphase sicher von und zum Bahnhof zu leiten. Gleichzeitig sind die Wege möglichst barrierefrei zu gestalten. Die Belange von Individualverkehr, Radfahrern, Fußgängern, ÖPNV, Taxi, Anlieferung usw. unter einen Hut zu bekommen ist eine der größten Herausforderungen bei einer solchen Maßnahme.“
Die Leitungsverlegearbeiten wurden in einem ersten Bauabschnitt ausgeschrieben und werden aktuell verlegt. Hierbei wurde die Flüssigbodentechnologie mit ausgeschrieben und stellt einen wichtigen Baustein für die Nachhaltigkeit der Baustelle dar. Flüssigboden ist für die Firma Breinlinger kein Neuland mehr. Bernd Schwär: „Wir setzen die Flüssigboden-Technologie bereits seit mehreren Jahren erfolgreich ein. Wir beraten unsere Kunden hierbei und konnten diese bereits bei mehrere Projekten erfolgreich anwenden. Die ersten Berührungspunkte gab es beim Kreuzstraßentunnel in Tuttlingen welcher ab 2007 gebaut wurde.“ Damit die Arbeiten in Tübingen den in der Ausschreibung geforderten Qualitätsparametern entsprechen, wird das Unternehmen in Form von zwei Bauüberwachern präsent sein.
Die Ausschreibung der Flüssigbodenarbeiten am Europaplatz hat die Firma Brodbeck gewonnen. Dipl.-Ing. Benno Schlaich kam dabei als Kalkulator zum Einsatz. Als erste Maßnahmen musste er die Abbruch- und die Tiefbauarbeiten mit Zahlen und Preisen untersetzen. Besonders die unterirdische Infrastruktur auf der Baustelle Europaplatz hatte es in sich. Sämtliche Leitungssystem – Wasser, Abwasser, Telefon, Gas und Strom – müssen neu an neuer Stelle verbaut werde. Mit Flüssigboden hat die Gottlob Brodbeck GmbH & Co. KG schon seit etlichen Jahren gute Erfahrungen gemacht – „Besonders auf den Baustellen“, so stellt Benno Schlaich fest, „wo viele Leitungssystem neu verlegt werden mussten.“ Bislang hat man sich den fertigen Flüssigboden von einer Firma dazu anliefern lassen. Doch für Tübingen reicht das nicht aus, denn man will vor Ort auf der Baustelle den Flüssigboden aus dem Bodenaushub herstellen. Dazu wird eigens eine Flüssigoden-Kompaktanlage angemietet. „Diese wird“, so versichert der Kalkulator aus Metzingen, „von einem Fachmann bedient, der die Zertifizierung zum Gütesachverständigen nach RAL Gütezeichen 507 für Flüssigboden vorweisen kann.“
Die Fachplanung für dieses Flüssigbodenprojekt hat das Fachplanungsbüro für Flüssigbodenanwendungen LOGIC Logistic Engineering GmbH an der Seite der Breinlinger Ingenieure ausgeführt. Die Fachplanung beinhaltet neben zahlreichen anderen Leistungen auch das technologische, logistische und technische Konzept für die Arbeit mit Flüssigboden nach RAL Gütezeichen 507. Dabei wird auch das neuentwickelte Prinzip der „Schwimmenden Verlegung“ zum Einsatz kommen, das die energieintensive Wasserhaltung minimiert bis wegfallen lässt und damit weitere CO2-Emissionen verhindert. Grund dafür ist eine Kernaussage der geologischen Baustellenbedingungen. Diese beinhalten den Passus, dass „während der Bauphase für den Kanalbau massive Wasserhaltungsmaßnahmen erforderlich werden.“ Die Folge wären das Erfordernis der temporären Absenkung des Grundwasserspiegels, eine aufwändige Bauweise mit Spundwänden als Verbau und eine ständige Wasserhaushaltung im Graben, um diesen trocken zu halten – praktisch gesehen: ein enormer Aufwand mit den dazugehörigen Kosten. Doch dieses Beispiel zeigt einen weiteren interessanten Zusammenhang. Denn ein in Leipzig neu entwickeltes Verfahren und eine damit verbundene neue Technologie helfen, über den Weg einer energiesparenden Arbeitsweise, zusätzlich zu den Ersparnissen der vor Ort erfolgenden Herstellung von Flüssigboden, CO2 einzusparen.
Dies ist typisch für das Flüssigbodenverfahren, nach dem der Entwicklung zugrunde liegenden F&E Projekten auch RSS Flüssigbodenverfahren genannt. Denn es ist nicht allein die Vermeidung eines Bodenaustausches durch den aus dem örtlichen Aushub hergestellten Flüssigboden, wodurch die Entstehung von CO2 in bedeutenden Mengen verhindert wird. Nein, es sind vor allem die vielen neuen Technologien und ingenieurtechnischen Lösungen, die vom Entwickler des Verfahrens in den letzten Jahren ebenfalls neu entwickelt wurden und den interessierten Anwendern zur Verfügung gestellt werden, die sowohl die Anwendungsbreite als auch den Nutzen des Verfahrens ausmachen. Es ist daher die ingenieurtechnische Beherrschung der Möglichkeiten dieses Verfahrens durch die planenden und ausführenden Ingenieure, die den Nutzen für die Wirtschaftlichkeit, aber auch die Umwelt ausmachen. Ohne dieses Wissen wären die Vorteile nur minimal und sicher oft auch von nicht bekannten und so nicht beherrschbaren Risiken begleitet. Auch die Nutzung der Vermittlung dieses Wissens ist daher wichtig für die handelnden Ingenieure, um neben der Frage der Kosten auch die ambitionierten Ziele des Klimaschutzes erreichen zu können.
Dies zeigt, dass statt Panikmache und Indoktrination sinnvollerweise innovative, ingenieurtechnische Lösungen genutzt werden können, um die Klimaziele zu erreichen. Es muss nur gewollt, bewusst angeschoben und von der Politik unterstützt und eingefordert werden. Die in Deutschland entwickelten Lösungen können weltweit helfen. Sie müssen nur bekannt gemacht werden, verfügbar sein und aktiv genutzt werden.
Dank des Flüssigbodenverfahrens und der hier gewählten Technologie der „Schwimmenden Verlegung“ schafft die Politik in Tübingen mit Hilfe der zuständigen kommunalen Verantwortlichen in Sachen CO2 gleich auf drei Ebenen einen entsprechenden Klimanutzen:
1. Materialebene Der Baustellenaushub wird bis auf Verdrängungsmassen zu 100 % wiederverwendet – das entspricht voll den Forderungen des neuen Kreislaufwirtschaftsgesetzes, das ab 1.1.2020 fordert, mindestens 70% der mineralischen Abfälle zwingend wiederzuverwenden. Und de jure wird auch unkontaminierter Bodenaushub beim Verlassen der Baustelle zu Abfall.
2. Technologieebene Der Einsatz von Flüssigboden ist mit vielen neuen Technologien und Anwendungen (inzwischen über 170 verschiedene Anwendungen) verbunden, die in der Masse der Anwendungen deutlich weniger Energie verbrauchen und damit weniger CO2 verursachen – im Gegensatz zur herkömmlichen Bauweise bei den besagten über 170 Anwendungen.
3. Betriebsebene Die Nutzungs- und lebensdauerverlängernden Effekte der Flüssigbodenbauweise werden mit den so möglichen Einsparungen an künftigen Reparaturaufwendungen ebenfalls positiv die Energie- und damit die CO2-Bilanz beeinflussen.
Unter dem für diese neuen Lösungen und deren schadensfreie Ausführung benötigten RSS-Flüssigboden, der den Anforderungen des RAL Gütezeichens 507 entspricht, versteht man das Ergebnis der Anwendung eines Verfahrens, mit dessen Hilfe jede Art von Bodenaushub in einen zeitweise fließfähigen Zustand versetzt werden kann, wobei die bodenmechanisch wichtigen Eigenschaften des Ausgangsbodens bei Bedarf weitgehend erhalten bleiben können. Das Verfahren wurde vor über 20 Jahren durch das derzeitige Forschungsinstitut für Flüssigboden (FiFB) aus Leipzig entwickelt. Im Rahmen eines damaligen Forschungsprojektes, das sich mit Lösungen von Infrastrukturproblemen auf der Grundlage komplexer Leitungstrassen beschäftigte, die den gemeinsamen Bau von Regenwasser, Schmutzwasser und sonstigen Versorgungsleitungen betrafen, erhielt das Ergebnis dieser Verfahrensentwicklung die Bezeichnung RSS Flüssigbodenverfahren.
Energie- und damit CO2-arme technische Lösungen – die Schwimmende Verlegung Auch die sogenannte „Schwimmende Verlegung in RSS Flüssigboden“ ist eine Lösung für Bauprobleme im und unter Wasser mit deutlich reduziertem Energieaufwand, also reduziertem CO2-Anfall – die nun in Tübingen zum Einsatz kommt. Bei der „Schwimmenden Verlegung in RSS Flüssigboden“ wird der Graben soweit ausgehoben, wie es die Vorgaben der Planung beschreiben – das Grundwasser aber in der Regel nicht abpumpt. Das zu verlegende Rohr wird dann in den Seilschlaufen sogenannter Rohrverlegehilfen aufgehängt und montiert. Um den Auftrieb nach dem Verlegen zu beherrschen, werden die Rohre mittels der hydraulischen Stempel der Rohrverlegehilfen gesichert, die gleichzeitig eine Messfunktion innehaben und die Messung des Rückverfestigungsprozesses im konkreten Rohrgraben für den jeweiligen Einbauzustand gestatten. Der RSS Flüssigboden wird unter Einsatz verschiedener technologischer Möglichkeiten und technischer Hilfsmittel so eingebaut, dass er das anstehende Wasser verdrängt, das Rohr vollständig umhüllt und nach dem Ziehen des Verbaus, nach einer technologisch vorgegebenen Zeit, sich mit der Grabenwand fest und schwindungsfrei verbindet. Zur Steigerung der Effektivität können verschiedene Hilfsmittel verwendet werden, die meist durch die Fachplanung vorgegeben werden.
Die Vorteile sind enorm. Einerseits ist es der Wegfall der sonst notwendigen Wasserhaltung im Graben, andererseits sind es nicht erforderliche Spundwände, deren Kosten nicht mehr anfallen. Statt der Spundwände kann man jetzt mit geeignetem und durch die vorherige Fachplanung in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Statik für den Lastfall Auftrieb im Flüssigboden ausgewähltem Parallelverbau arbeiten. So wird auch die Gefahr der Beeinflussung angrenzender Gebäude gegen Null verringert, da es z. B. zu keinen hydraulischen Grundbrüchen oder anderen Gebäude- bis Straßenschäden mehr kommen kann.
CO2-Einsparung – eine Folge gezielter Planung mit dazu geeigneten Lösungen
Mit der für das Projekt in Tübingen geplanten Flüssigbodentechnologie wird die CO2-Bilanz enorm verbessert. Dass sich das lohnen kann zeigen die Zahlen, die derzeit schon ausreichend genau abgeschätzt werden können. So hat das FiFB – Forschungsinstitut für Flüssigboden GmbH – in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro LOGIC eine Methode der CO2-Bilanzierung von Baustellen entwickelt, die den Unterschied der anfallenden CO2-Mengen im Vergleich der herkömmlichen Technologie mit dem Flüssigbodenverfahren zeigt. Je mehr der bekannten Anwendungen durch Flüssigbodenalternativen durch kompetente Planer substituiert werden können, umso höher wird der Nutzen und damit auch die CO2-Ersparnis ausfallen.
Wenn schon durchschnittliche Kanalbaustellen CO2-Mengen in der Größenordnung von hunderten Tonnen einsparen helfen, so ist schnell verständlich, dass bei den vielen Baustellen in Deutschland schnell Dutzende von Millionen Tonnen CO2 eingespart werden können, wenn die derzeitige Bauweise konsequent durch Lösungen auf der Basis des Flüssigbodenverfahrens ersetzt wird. Schätzungen gehen von einem Potential von 20 - 50 Mio. t CO2 aus, deren Entstehung allein in Deutschland mit dieser Bauweise vermieden werden könnte. Welch ein Potenzial kommt noch dazu, wenn auch die Lebensdauerverlängerungen durch die qualitativen Vorteile des Verfahrens in die CO2-Bilanz einfließen! Die vom Ingenieurbüro LOGIC für eine zunehmende Anzahl von Fachplanungen eingesetzte Methode des FiFB zur CO2-Bilanzierung von Baustellen macht es transparent.
Eine Beispielrechnung macht die CO2-Einsparung mehr als deutlich: Auf einer Baustelle in Bayern wurde das Flüssigbodenverfahren eingesetzt und an Stelle von Kies der zu verfüllende Kanal mit Flüssigboden – gewonnen aus dem Kanalaushub – verfüllt. Man stellte beide Bauweisen gegenüber. Das sah das in Zahlen so aus:
Reduzierung der CO2-Menge = 484.685 kg
Unter dem Strich heißt das zunächst primär, dass auf dieser Kanalbaustelle durch den Einsatz von RSS® Flüssigboden rund 500 Tonnen CO2 eingespart werden konnten! Betrachtet man die Einzelheiten, wird das Ergebnis noch interessanter:
• es mussten keine rund 9.000 Tonnen Kies ausgebeutet werden;
• es mussten keine rund 9.000 Tonnen Bauaushub deponiert werden;
• es mussten keine rund 38.000 LKW-Kilometer (samt Abgasemission) gefahren werden;
• und die Bauzeit (samt der Einwirkung der Emissionen) wurde um rund 1/3 verkürzt!
Hinzu kommt – da Flüssigboden selbstverdichtend ist – dass ein Verdichtung des Schüttgutes mit der Rüttelplatte nicht notwendig wird, was ebenfalls Kosten für Gerät und Bauzeit spart. Auch ist das mechanische Verdichten von Schüttgütern auf jeder Baustelle eine kritische Phase, die oft Folgeschäden in absehbarer Zeit zu Folge hat. Von der Belästigung der Anwohner und möglichen Schäden an umliegenden Gebäuden einmal ganz abgesehen. In Tübingen wird also nicht „gerüttelt“ – die Baustelle bleibt leiser als üblich und löst kein regionales „Erdbeben“ aus.
Ein zweiter positiver Nebeneffekt ist, dass sich die Arbeitssicherheit im Graben erhöht. Wird mechanisch mit einer Rüttelplatte verdichtet, entstehen – maschinell bedingt – Abgase in Form von hochgiftigem CO2. Da dieses um 50% schwerer als die Luft ist, kann es sich am Grabengrund sammeln und beim Einatmen die Sauerstoffaufnahme gefährlich reduzieren. Auch in diesem Fall wird der CO2-Anfall durch die Flüssigbodentechnologie auf Null reduziert.
Am 14. November 2019 begannen am Europaplatz die Arbeiten mit dem Flüssigboden. Wie vorgesehen, wurde eine Anlage zur Herstellung von Flüssigboden unmittelbar auf der Baustelle errichtet. Hier wird also kein LKW voll Bauaushub die Baustelle mehr verlassen müssen – bis auf Verdrängungsmassen wird alles wird wiederverwendet. Und die CO2-Bilanz der Baustelle am Europaplatz kann sich dann sicher ebenfalls sehen lassen. Eventuell wird sie der Bauherr ja dokumentieren und öffentlich machen. Solche Beispiele brauchen wir, wenn wir die Klimaziele ohne unnötige Panikmache und Effekthascherei mit dem erreichen wollen, was wir in Deutschland noch immer in starkem Maße nutzen können, die Kraft und die Fähigkeit unserer Ingenieure, neuen Problemen, neue und meist auch exportträchtige Lösungen entgegen zu stellen. Andreas Bechert