Öffentliche Bauwerke sind vielfach in besorgniserregendem Zustand. »Abgesehen von erheblichen sicherheitstechnischen Risiken, werden unnötig hohe Zusatzkosten für die Instandsetzung provoziert, die durch regelmäßige Kontrollen und durch eine unmittelbare fachgerechte Beseitigung der Schäden vermeidbar wären«, so Dipl.-Ing. Marco Götze, Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken (Bundesgütegemeinschaft ib). Er verweist darauf, dass sich gerade Schäden im Anfangsstadium mit relativ geringem Kostenaufwand beheben lassen. Vorbildlich habe sich vor diesem Hintergrund die hessische Stadt Gernsheim verhalten: Als an einem über 40 Jahre alten innerstädtischen Unterführungsbauwerk Betonabplatzungen wahrgenommen wurden, war dies Anlass, einen sachkundigen Planer mit einer umfassenden Schadensanalyse zu beauftragen. Ziel war, die Verkehrs- und Standsicherheit des vielgenutzten Bauwerks wieder herzustellen und es fit für die Zukunft zu machen. »Hier wurde verantwortlich gehandelt und wirtschaftlich gedacht«, betont Dipl.-Ing. Manfred Krieger, Geschäftsführer der mit der Ist-Zustandsfeststellung sowie dem Instandsetzungskonzept beauftragten SiB Ingenieurgesellschaft aus Ober-Mörlen. Auch Projektleiter Dipl.-Ing. Karl-Jörg Seelbach bestätigt: »Die Sanierung erfolgte in einem Stadium, das wirtschaftlich vernünftig war.«
Damit entspricht die Durchführung der Maßnahme den Empfehlungen der Bundesgütegemeinschaft ib. »Wenn Schäden auftreten, dann gleich und grundlegend sanieren«, so Götze. Schließlich wisse man, dass Sanierungskosten nicht linear mit den Schäden fortschreiten, sondern sich exponentiell verhalten.
Schadensdiagnose
Die Unterführung in Gernsheim besteht aus zwei separaten Brückenbauwerken, die rechts und links parallel zu einer Unterführung der viergleisigen Bahnstrecke Darmstadt – Mannheim angeordnet sind. Darunter verlaufen eine innerörtliche Hauptverkehrsstraße sowie ein Rad- und Gehweg, der über eine spindelförmige Rampe mit den darüber liegenden Straßenanschlüssen verbunden ist.
An der in den 1970ern aus Stahlbeton erstellten Anlage wurden seit der Fertigstellung keine Instandsetzungsarbeiten durchgeführt. Um festzustellen, ob die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit des Bauwerks durch Risse und Schadstellen beeinträchtigt sind, wurden zunächst die Oberflächen des Bauwerks auf Hohlstellen abgeklopft. »Wo Hohlstellen sind, sind auch Schadstellen«, weiß Karl-Jörg Seelbach. Grundsätzlich seien Risse im Beton nicht zu vermeiden. »Ihre Breite darf jedoch ein bestimmtes Maß nicht überschreiten.«
An verschiedenen Stellen des Bauwerks entnahmen die Ingenieure der SiB Ingenieurgesellschaft, einem Mitglied der Landesgütegemeinschaft Betoninstandsetzung und Bauwerkserhaltung Hessen – Thüringen, Bohrkerne, um die Betondruckfestigkeiten zu ermitteln. Im Druckversuch zeigte sich, dass die geforderten Mindestdruckfestigkeiten an den einzelnen Bauteilen mit Ausnahme der Aufkantungen erfüllt wurden. Auch die Oberflächenzugfestigkeit (Abreißfestigkeit) des Betonuntergrundes wurde untersucht. Diese ist ein wichtiges Kriterium dafür, ob im Anschluss an die Instandsetzung ein Oberflächenschutzsystem ohne weitere verfestigende Maßnahmen auf die gesamte Betonfläche aufgetragen werden kann – auch an den Stellen, an denen keine Instandsetzung erforderlich war.
Im Blickfeld stand die Frage nach dem Korrosionsschutz des im Beton liegenden Bewehrungsstahls. Mit einem Scanner, der eine zerstörungsfreie Untersuchung ermöglicht, konnten die Experten die Betondeckung der Bewehrung bestimmen. Die Karbonatisierungstiefe wurde parallel anhand von entnommenen Bohrkernen ermittelt (Einfärbung mittels Phenolphthaleinlösung). Dabei zeigte sich, dass die Betondeckung größtenteils nicht ausreichend war. Die Bewehrung lag in großen Teilen im karbonatisierten und damit im ungeschützten Bereich. Speziell an den Stützwänden der Bauwerke sowie an den Brückenkappen und Aufkantungen war der Karbonatisierungsprozess weit fortgeschritten. Die Bewehrung war so korrodiert, dass die daraus resultierende Volumenvergrößerung zu den beobachteten Abplatzungen führte.
Auch im Sockelbereich stellten die SiB-Fachleute einen ungenügenden Korrosionsschutz der Stahlbewehrung fest. Betroffen waren vor allem Bauteile im Spritzwasserbereich. Sie wiesen durchgehend eine zu geringe Betondeckung auf. Außerdem fehlte ein Oberflächenschutzsystem, sodass Wasser und Tausalze ungehindert in die Konstruktion eindringen konnten. Dadurch war die Bewehrung dem direkten Angriff von Chloriden ausgesetzt.
Instandsetzungskonzept
Die Erhebung des Ist-Zustandes durch die Ingenieure war Grundlage für das Instandsetzungskonzept, das auch künftige Schädigungen weitgehend ausschließen soll. Da es sich um ein Verkehrsbauwerk handelt, galten für die Instandsetzung die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING). Hier wird die »Standsicherheitsrelevanz« der Maßnahme vorausgesetzt. Demnach ist ein sachkundiger Planer mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Instandsetzung von Betonbauwerken einzuschalten. Das Konzept sowie weitere Planungsschritte mit Leistungsverzeichnis waren Basis für die Ausschreibung. Die Mitgliedschaft in einer Gütegemeinschaft mit einer vom BMVI anerkannten Prüf- und Überwachungsstelle war Bedingung.
Als Teil der Betonschadensdiagnose erhielt der Bauherr eine nach Prioritäten gestaffelte Empfehlung zur Durchführung der Maßnahmen inklusive Kostenschätzung. Im vorliegenden Fall entschied sich der Bauherr für eine sofortige Instandsetzung aller Schäden. Die Maßnahme erstreckte sich über eineinhalb Jahre. Dabei musste wetterbedingt eine dreimonatige Winterpause eingelegt werden.
Instandhaltungsplan
Ein von der SiB Ingenieurgesellschaft erstellter Instandhaltungsplan ergänzt das Instandhaltungskonzept mit dem Ziel, größere Schäden künftig zu vermeiden. Er sieht eine regelmäßige Begehung der Unterführungsbauwerke vor. Schadensentwicklungsansätze können so schnell erkannt und behoben werden. Gemäß DIN 1076 unterliegt die Anlage grundsätzlich einem Zyklus der Bauwerksprüfung, der sich mit einfacher Prüfung, Sicht- und Hauptprüfung über sechs Jahre erstreckt.
Ausführung
Voraussetzung für eine fachgerechte Instandsetzung, die exemplarisch am Beispiel der Stützwände beschrieben wird (die Instandsetzung der Brückenbauwerke erfolgte analog), ist vor allem die richtige Vorbereitung des Untergrundes. Zunächst wurden alle Flächen der Stützwände sowie im Sockelbereich im Höchstdruckwasserstrahlverfahren bearbeitet. Dabei wird die Oberfläche so weit aufgeraut, dass das oberflächennahe Korn vollständig freiliegt. Im Sockelbereich wurde der durch Chlorid belastete Beton bis auf eine Tiefe von 4 cm und einer mittleren Höhe von 50 cm abgetragen. Zuvor hatten die Ingenieure im Rahmen der Schadenserhebung ein Chloridkataster erstellt, mit dem sie sich einen genauen Überblick über den Umfang der vorhandenen Schädigungen verschafften. PCB-belastete Fugen werden unter Einhaltung erforderlicher Schutzmaßnahmen ausgebaut.
Anschließend wurden die Schadstellen punktuell instandgesetzt. Dazu entfernten Arbeiter vorsichtig, um die Stähle nicht zusätzlich zu schädigen, alle lockeren, hohlliegenden und geschädigten Betonbereiche und legten die Bewehrung frei. Einige Schadstellen wurden bis zu 7 cm tief freigestemmt.
Im nächsten Schritt erfolgte die Entrostung der korrodierten Bewehrung entsprechend dem Norm-Reinheitsgrad Sa 2 ½. Besonders stark korrodierte Bewehrung wurde aus statischen Gründen durch den Einbau einer Zulagebewehrung ergänzt. Die so bearbeiteten Bewehrungsstähle erhielten einen mineralischen Korrosionsschutz, danach erfolgte der Auftrag einer Haftbrücke. Die Reprofilierung der Schadstellen führten die Handwerker mit einem kunststoffvergüteten Reprofilierungsmörtel (PCC-Mörtel) aus, der statisch anrechenbar ist. Anschließend konnten die Schadstellen verschlossen werden. Die Reprofilierung des abgetragenen Betons im Sockelbereich erfolgte mit Spritzmörtel mit Kunststoffzusatz (SPCC). Zur Erhöhung der Betondeckung wurde auf der gesamten Fläche SPCC in 4 cm Dicke eingebaut.
Ein ganzflächig aufgetragenes OS-C-Oberflächenschutzsystem, bestehend aus einer PCC-Feinspachtelung und einer CO₂-bremsenden Beschichtung in Betongrau, bietet vorbeugenden Schutz vor betonschädlichen Stoffen. Die Fugensanierung mit einem Dichtstoff auf Polyurethanbasis schützt vor dem Eindringen von Feuchtigkeit und aggressiven Stoffen. Risse wurden grundsätzlich kraftschlüssig mit Epoxidharz verpresst.
Qualitätssicherung
Gründliche Vorbereitungen der Arbeiten durch eine umfassende Bestandsaufnahme und ein darauf basierendes Instandsetzungskonzept waren bei der Instandsetzung der Unterführung Grundlage für die hohe Qualität der Arbeiten, deren Dauerhaftigkeit durch einen Instandhaltungsplan gewährleistet wird. Die fachgerechte Ausführung der Arbeiten wurde durch Eigen- und Fremdüberwachung sichergestellt. Bedingung war die Mitgliedschaft in einer Gütegemeinschaft mit einer vom BMVI anerkannten Prüf- und Überwachungsstelle sowie der Nachweis, dass die Eigenüberwachung durch qualifiziertes Personal nach ZTV-ING Teil 3, Ab. 4 Ziff. 1.7.2 – nachgewiesen per »SIVV«-Schein – und einer Weiterbildung, die nicht länger als drei Jahre zurückliegen darf, gewährleistet werden kann. §