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Mit dem »Vitoria-Effekt« zu »neuen Ufern«

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Nun gibt es zwischen Wollen und Können einen fundamentalen Unterschied. Und diese Erfahrung hat man mit dem Vito bei Mercedes-Benz machen müssen. Denn trotz großer Anstrengungen ist es seit der Markteinführung des Vito im Jahre 1995 bis heute nicht gelungen, dem Wettbewerber aus Wolfsburg mit seinen T-Modellen entscheidende Marktanteile abzujagen. So geriet die erste ­Vito-Generation wegen ihrer ausgeprägten Rostproblematik schnell in Misskredit, und unter diesem Ruf litt auch die von 2003 an gebaute zweite Generation. Jetzt, mit dem dritten Anlauf, soll der Vito endlich zum Erfolgsmodell werden – und zwar weltweit, so wie der Sprinter. »Hinsichtlich Qualität, Fahrkomfort und Wirtschaftlichkeit ist der neue Vito dem Sprinter noch ähnlicher geworden«, erklärte Jörg Zürn bei einer internationalen Presseveranstaltung in Vitoria, zu der außerdem eine Werksbesichtigung sowie Testfahrten verschiedener Vito-Modelle gehörten.

Dass der Vito künftig »zu neuen Ufern aufbricht« (Zürn), dafür soll der erwähnte »Vitoria-Effekt« sorgen. Diesen Begriff haben sie bei Mercedes-Benz in Anlehnung an den sogenannten »Bilbao-Effekt« geprägt. Denn die an sich früher eher unbedeutende baskische Hafenstadt und Industriemetropole Bilbao ist seit Mitte der 1990er-Jahre weltbekannt, weil zunächst der Star-Architekt Frank O. Gehry das Guggenheim-Museum baute und anschließend berühmte Kollegen wie Foster, Siza Vieira, Calatrava, Pelli, Starck, oder Moneo U-Bahn, Flughafen, Universität, Regierungs- oder Wohnbauten entwarfen. Weshalb heute zwangsläufig früher oder später der Name Bilbao fällt, wenn irgendwo auf der Welt moderne Architektur das bevorzugte Gesprächsthema ist.

Ähnliches soll mit dem Vito passieren. Zumal neben VW mittlerweile alle anderen relevanten Hersteller – von Ford über Opel, Fiat, Renault, Citroën, Peugeot bis hin zu Toyota, Nissan oder Hyundai – in diesem Fahrzeugsegment vertreten sind. »Bislang stand der Vito in der öffentlichen Wahrnehmung etwas im Schatten unseres Flaggschiffs Sprinter«, sagte Zürn. »Aber das wird sich ändern. Ob wir von Leistung reden, von Effizienz, Sicherheit oder Qualität – im Midsize-Segment führt in Zukunft kein Weg am Vito vorbei.«


190 Mio. Euro investiert

Dafür soll in erster Linie die hohe Qualität sorgen. Die werde im Werk Vitoria »durch eine hochautomatisierte Produktion« garantiert, betonte Werksleiter Emilio Titos, sowie durch die in speziellen Schulungen qualifizierten 3 500 Mitarbeiter, wofür rund 300 000 Stunden aufgewendet worden seien. Insgesamt investierte Mercedes-Benz in das Werk Vitoria – in dem neben dem neuen Vito auch die neue V-Klasse vom Band läuft – 190 Mio. Euro.

Mit allein 86 Mio. Euro wurde der Rohbau auf den neuesten Stand der Technik gebracht, sodass die Produktion dort zu 96 % automatisiert ist. Nahezu 750 Roboter setzen dabei bis zu 7 500 Schweißpunkte je Rohkarosse sowie Schweißnähte, Klebeverbindungen und eine Vielzahl von Bolzen als Befestigungspunkte für die spätere Ausstattung. Diese außergewöhnliche Präzision spiegelt sich dementsprechend auch an den sehr engen Karosseriefugen und dem Fugenbild wider.


Vollverzinkte Bleche sind die Basis

Die Karosserie eines Vitos, deren Basis vollverzinkte Bleche sind und deren Qualität an etwa 400 Punkten von Lasern sowie von einer 3D-Messmaschine überprüft wird, erhält eine durchschnittlich 0,1 mm dünne Lackschicht. Diese setzt sich aus mehreren Schichten – Phosphatierung, KTL-Schicht, Füller und Decklack – zusammen und wiegt insgesamt rund 40 kg. Zu den Besonderheiten der neuen Generation von Vito und V-Klasse gehört die Nahtabdichtung. Sie dichtet Schweißnähte vor Umwelteinflüssen und vor allem gegen eintretende Feuchtigkeit ab und summiert sich auf rund 150 m pro Fahrzeug.

Neben dieser »1A-Qualität« (Zürn) will der neue Vito (Gesamtgewicht zwischen 2,5 t und 3,2 t) in den Varianten Kastenwagen, Mixto oder Tourer als »Kostenzwerg, Nutzlastriese und Sicherheitsexperte« überzeugen, wie es die Marketing-Abteilung bei Mercedes-Benz formuliert. Er biete Vorder- und Hinterradantrieb (die Allrad-Variante folgt kommendes Jahr) und sei gleichermaßen für Bau, Handwerk, Handel und Gewerbe wie für Dienstleistungen oder Shuttle-Verkehr prädestiniert. Beispielsweise stehe der Vito Kastenwagen mit einer Zuladung von bis zu 1 369 kg als einziges Modell seiner Klasse in drei Längen zur Verfügung.

»Ob wir von Leistung reden, von Effizienz, Sicherheit oder Qualität: Im Midsize-Segment führt in Zukunft kein Weg am Vito vorbei.«

Dr. Jörg Zürn,

Entwicklungsleiter Vans Mercedes-Benz


Der Vito mit Vorderradantrieb wird von einem Vierzylinder-Motor mit 1,6 l Hubraum und 65 kW (88 PS) bzw. und 84 kW (114 PS) angetrieben, beim Hinterradantrieb gibt es den Vierzylinder mit 2,15 l Hubraum in drei Leistungsstufen: mit 100 kW (136 PS), 120 kW (163 PS) und 140 kW (190 PS). Dabei wird neben dem Sechsgang-Schaltgetriebe optional das Wandler-Automatikgetriebe 7G-Tronic Plus angeboten, das im Vito 119 BlueTEC serienmäßig eingebaut ist. Nochmals gesteigert worden ist die anerkannt hohe Qualität des Fahrwerks. Das beginnt mit einer Lenkung mit elektromechanischer Servounterstützung, die das Rangieren nochmals erleichtert, und geänderter Kinematik und reicht bis zur Schräglenker-Hinterachse mit Schraubenfedern und neuer Feder- und Dämpferabstimmung.Besonders betont wird von den Entwicklern die außergewöhnliche Effizienz des neuen Vito. So habe man den Kraftstoffverbrauch im Schnitt um 20 % senken können, und der 116 CDI mit Blue-Efficiency-Paket sei mit einem Normverbrauch von 5,7 l/100 km unübertroffen in seiner Fahrzeugkategorie. Außerdem wurden die Wartungsintervalle verlängert, nämlich um ein Viertel auf 40 000 km oder zwei Jahre. »Darauf haben wir großen Wert gelegt. Damit ist der neue Vito der Beste in seiner Klasse«, sagte Thomas Stutte, Projektleiter für Triebstrangapplikation beim 2,15-l-Motor OM 651, im Gespräch mit dem bauMAGAZIN. Die Entwicklung begleitet haben auch die Akustik-Experten und dabei zahlreiche Details optimiert, vom Rohbau über die Lagerung des Antriebsstrangs bis zur Dämmung. »Insgesamt konnten wir das Geräuschniveau im Vergleich zum Vorgänger um rund 2 db(A) absenken«, sagte Zürn, »und haben es damit nahezu halbiert.«


Seitenwind-Assistent serienmäßig

Ganz hoch gehängt haben sie bei Mercedes-Benz das Thema Sicherheit. So verfügt der Vito-Kastenwagen als einziger Transporter serienmäßig über Airbags und Gurtwarner sowohl für den Fahrer als auch für den Beifahrer. Insgesamt werden bis zu acht unterschiedliche Airbags angeboten. Ebenfalls zur Serienausstattung gehören neben der Reifendruck-Überwachung der Aufmerksamkeits-Assistent sowie – einzigartig in seiner Klasse – der Seitenwind-Assistent, der Einflüsse von Windböen auf das Fahrzeug nahezu vollständig kompensieren soll.Der neue Vito lässt sich mit weiteren Assistenzsystemen individuell ausstatten. Neu für Transporter sind der aktive Park-Assistent sowie der Abstands-Warnassistent. Der Totwinkel-Assistent warnt bei einem Spurwechsel vor Fahrzeugen im ­toten Winkel, der Spurhalte-Assistent vor Abkommen von der Fahrbahn.


Kupplungs-Zoom arbeitet perfekt

»Wir haben uns bei der Entwicklung überlegt, was macht für die Zielgruppe des Vito wirklich Sinn«, sagte Heiko Kleiber, Mitglied des Entwicklungsteams Fahrerassistenzsysteme, zum bauMAGAZIN. »Dementsprechend haben wir die diversen Sicherheitssysteme konfiguriert, mit denen wir teilweise schon im Sprinter hervorragende Erfahrungen gemacht haben, wie mit dem Seitenwind-Assistenten.« Mit dem Vito sei man hinsichtlich der Assistenzsysteme jedenfalls der klar führende Hersteller in diesem Fahrzeug-Segment.

 »Die hohe Qualität im Werk Vitoria wird durch eine ­hochautomatisierte Produktion und durch unsere besonders geschulten Mitarbeiter garantiert.«

Emilio Titos, Werksleiter


Das gilt auch im Anhängerbetrieb – mit Hinterradantrieb darf der Vito bis zu 2 500 kg ziehen – für das Kupplungs-Zoom der Rückfahrkamera. Ihr großer Monitor in der Mittelkonsole zeigt nicht nur mithilfe dynamischer Linien die Fahrtrichtung an, die Kamera verfügt zusätzlich über einen Anhängermodus. Ist er per Tastendruck aktiviert, schwenkt das Kameraauge nach unten und zeigt einen knapperen Ausschnitt hinter dem Fahrzeug. Wer die senkrechte gelbe Linie im Monitor in eine Flucht mit der Anhängerdeichsel bringt, fährt schnurgerade auf sie zu. So wird auch für Ungeübte das Ankuppeln ganz einfach.


Hoher Fahrkomfort

Wie exakt diese Assistenzsysteme arbeiten, das bemerkte man schon auf den ersten Testkilo­metern bei der Fahrt vom Flughafen zum Guggenheim-Museum. Wenn man beispielsweise auf der Stadt-Autobahn ohne zu Blinken die Fahrbahnspur wechselt, lässt der Spurhalte-Assistent das Lenkrad vibrieren und sorgt beim überraschten Fahrer zunächst für Irritationen. Insgesamt waren wir mit vier verschiedenen Modellen des Vito – Kastenwagen 114 CDI, Tourer Base 109 CDI, Mixto 114 CDI und Kastenwagen 111 CDI – knapp 250 km im Baskenland unterwegs, und zwar im Stadtverkehr von Bilbao, auf den Serpentinen im Naturpark Urkiola sowie auf der Autobahn von Vitoria zurück nach Bilbao.Auffällig war dabei vor allem eines: Der Fahrkomfort bei allen von uns gefahrenen Modellen ist bemerkenswert – egal ob beim Vorderrad- oder beim Hinterradantrieb, egal ob mit manueller Sechsgang-Schaltung oder dem Automatikgetriebe 7G-Tronic Plus. Selbst die auf Spaniens Straßen allgegenwärtigen Schwellen, die im Stadtverkehr gefühlt alle 100 m zum Abbremsen zwingen, und die nahezu ebenso oft angelegten Kreisverkehre, beeinträchtigten diesen kaum. Dass hingegen der Tourer Base 109 CDI mit seinen 65 kW (88 PS) für die Serpentinenfahrt mit Steigungen von bis zu 12 % auf gut 700 m über Meeresspiegel leicht untermotorisiert ist, kann man bei dem von uns gefahrenen eher für den Shuttle-Verkehr im innerstädtischen Bereich konzipierten 9-Sitzer nachvollziehen.Stark auf Mittel- und Kurzstrecken

Was das Verhältnis von Nutzwert und Kosten bei den Kastenwagen betrifft, dürfte allerdings das Vorderrad angetriebene Modell 111 CDI mit einer Leistung von 84 kW (114 PS) mit das interessanteste in diesem Segment sein. Denn sowohl im Stadtverkehr als auch bei der Fahrt über Land überzeugt der 111 CDI. Der neue Motor mit 1,6 l Hubraum dreht bis über 4 000 min⁻¹, akzeptiert aber auch klaglos niedrige Drehzahlen. Das maximale Drehmoment liegt im Hauptfahrbereich von 1 500 min⁻¹ bis 2 500 min⁻¹. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 168 km/h ist der 111 CDI auch auf der Autobahn mehr als passabel unterwegs. Seine Stärken kann er aber am besten im Bereich der Kurz- und Mittelstrecken ausspielen. Der erste Gang ist kurz abgestimmt für einen flotten Start, der sechste Gang ist lang übersetzt für eine ruhige und sparsame Autobahnfahrt. So zeigt der Drehzahlmesser bei Tempo 100 km/h nur 1 800 Umdrehungen an.

Erstes Fazit: Die Verantwortlichen bei Mercedes-Benz haben sich in der Tat sehr viel einfallen lassen, damit der neue Vito seinem »großen Bruder« Sprinter nacheifern und ein weltweiter Bestseller werden kann. Dafür aber muss er seine Qualitätsversprechungen, vor allem hinsichtlich der Verarbeitung, einhalten. Gelingt dieses, kann der Vito tatsächlich den Platzhirschen T5 und dessen für das kommende Jahr angekündigten Nachfolger T6 herausfordern.

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