MAN setzt mit neuer Truck-Generation auf die Erfahrung seiner Anwender

Es gilt als das ambitionierteste Projekt, das MAN Truck & Bus in den vergangenen 20 Jahren auf den Weg gebracht hat: Im Februar hat der deutsche Nutzfahrzeugspezialist seine neueste Lkw-Generation in der spanischen Industrie- und Hafenstadt Bilbao vorgestellt. Die neuen Baureihen TGS, TGL, TGM und TGX, die von 7,5 t bis 41 t reichen, wurden in enger Zusammenarbeit mit den Anwendern entwickelt. Ziel des Unternehmens war es, »noch einfacher, effizienter und erfolgreicher« zu sein. »Simplifying Business – das ist unser Anspruch, unser Versprechen. Mit der neuen Truck-Generation erfüllen wir es so umfassend wie nie zuvor«, so Vorstandsvorsitzender Joachim Drees, der die Präsentation der neuen Trucks fast verpasst hätte. Schuld war das Sturmtief »Sabine«, das den Flugverkehr flächendeckend lahmlegte und weite Teile der MAN-Entourage sowie die bauMAGAZIN-Redaktion dazu zwang, die Präsentation per Live-Übertragung aus dem Baskenland von München aus mitzuverfolgen.

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Von: Tobias Nickert

Zwölf Millionen geleistete Arbeitsstunden, vier Millionen gefahrene Testkilometer und ein fast drei Millionen Zeilen langer Softwarecode – das ist es, was die Einführung der neuen MAN-Lkw in Zahlen bedeutet. Die Baureihe TGX, die den Fernverkehrs- und Schwerlasttransportsektor bedient, gehört ebenso zur neuen Generation wie die Sparten TGL und TGM, die wie bisher für den leichten und mittleren Tonnagebereich stehen.

Viel Aufmerksamkeit galt während der Vorstellung der Baureihe TGS. Hier liegt das Augenmerk auf schweren Baufahrzeugen, dem Verteilerverkehr sowie kommunalen Anwendungsbereichen. Besonders sei laut Hersteller der bewusst schmale Kabinenaufbau, da es in der Baubranche vorrangig auf ein geringes Eigengewicht sowie eine gute Übersicht für den Fahrer ankomme. Antriebsseitig bietet MAN den TGS mit den D26- und D15-Motoren an, was ein breites Leistungsportfolio von 330 PS bis 510 PS abdecken soll. Hervorgehoben hat das Unternehmen den TGS während der Präsentation aber auch wegen seiner großen Variantenvielfalt – seien es der 4 x 2 und 6 x 2 als Sattelzugmaschinen und Fahrgestelle oder die Klassiker 6 x 4, 8 x 2 und 8 x 4 für eine große Anwendungsvielfalt bis hin zu den Ausführungen als Allrad-Spezialist für unwegsames Gelände mit 4 x 4, 6 x 6, 8 x 6 oder 8 x 8. Das zulässige Gesamtgewicht beim neuen TGS reicht von 18 t bis 41 t und deckt damit ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten ab.

Gestiegenen Anforderungen gerecht werden

Grundsätzlich gilt für alle Baureihen, dass die neuen Lkw eine umfassende Neuentwicklung darstellen – und das hat Gründe. Die Branche erlebt nach Ansicht von Joachim Drees einen »fundamentalen Wandel, der bereits Fahrt aufgenommen hat.« Gemeint sind damit das stetig steigende Transportvolumen sowie strenge gesetzliche Vorgaben zur CO₂-Emissionsreduzierung, die deren Verringerung von 15 % bis 2025 und 30 % bis 2030 vorsehen.

Hinzu komme der Personalmangel: Laut MAN fehlt es in Deutschland in den kommenden beiden Jahren an rund 150 000 qualifizierten Berufskraftfahrern. Last but not least bedeutet die flächendeckende Digitalisierung eine weitaus höhere Schlagzahl für die Transporteure. Im Raum steht aus Sicht vieler Unternehmer und Fahrer deshalb die Frage, wie man diesen Hürden künftig besser begegnen kann. »Unsere Kunden erwarten von uns zurecht, dass wir ihnen Antworten auf diese Fragen liefern«, so Drees. »Für sie müssen wir diesen Veränderungen mit all ihren direkten und indirekten Folgen einen Schritt voraus sein. Das ist eine große, aber zugleich auch extrem spannende Aufgabe. Denn es bedeutet, dass wir als Hersteller in anderen, neuen Dimensionen denken müssen.«

Laut MAN sei es wichtig, Lösungen auf den Weg zu bringen, die den aktuellen und kommenden Anforderungen der Branche genügen, um damit zukunftsfähig bleiben. Nach Angaben von MAN setze die neue Generation gleichzeitig aber auch Maßstäbe – beispielsweise mit Blick auf die Assistenzsysteme, verbesserte Fahrerorientierung und die digitale Vernetzung.

Gleichwohl hat MAN Trucks wichtige Entwicklungsschritte im Bereich der Nachhaltigkeit gemacht: Mit einer Kraftstoffeinsparung von bis zu 8 % sollen die neuen Lkw eine deutliche CO₂-Reduzierung erfahren haben. Hinzu kommen die neuen Abbiege- und Spurwechselhilfen, um künftig noch effektiver Unfälle vermeiden zu können. Jede Transportaufgabe, so MAN, habe ihre individuellen Herausforderungen. Ein Lkw im internationalen Fernverkehr müsse neben besonderer Kraftstoffeffizienz sowie ergonomischer Bedien­logik zugleich ein Ruhe- und Schlafraumkonzept beinhalten, das dem Fahrer die Chance zur Regeneration in den Pausen biete. Assistenzsysteme, wie das teilautomatisierte Fahren im Stau oder der Abbiegeassistent, sollen den Anwender zusätzlich unterstützen.

Gerade mit Blick auf die Baubranche hatte MAN nach eigener Aussage Wert auf Rückmeldungen der Anwender gelegt. Hier seien vor allem eine verbesserte Sicht und eine einfache Anzeige der wichtigsten Fahrinformationen notwendig – vor allem bei Stadtfahrten sowie dem Rangieren auf Baustellen. Ebenso entscheidend sei die Ergonomie beim häufigen Ein- und Aussteigen ins Fahrerhaus. Hinzu komme der zur Transportaufgabe passende Fahrzeugaufbau, für den das Fahrzeug fahrgestellseitig die optimalen technischen und elektronischen Schnittstellen bieten müsse, was vom Dreiseitenkipper über den Abrollkipper bis zum Holztransporter reiche. Nicht zuletzt entscheide die passende Auslegung des Antriebsstrangs darüber, ob der Fahrer die Transportaufgabe effizient und auftragsgemäß abwickeln könne.


Flexible und variantenreiche Truck-Lösungen

Um die jeweils optimale Lösung anzubieten, hat MAN eigenen Angaben zufolge sein neues Produktangebot modular auf die vielfältigen Anforderungen der Transportbereiche und Aufgaben ausgelegt. So war es das Ziel, Bewährtes beizubehalten und dort Verbesserungen ins Spiel zu bringen, wo sie auch wirklich Sinn machen. Wie bisher stellen die TGX-Ausführungen die Spezialisten für Schwerlasttransport und Fernverkehr dar. Aushängeschild dieser Baureihe sind die hohen, breiten und langen Fahrerhäuser. Der Anwender kann hier auf drei Motorbaureihen zurückgreifen, den MAN D38 mit bis zu 640 PS, den D26 von 430 PS bis 510 PS sowie den D15 mit 330 PS bis 400 PS (das bau­MAGAZIN berichtete in Heft 9/19, Seite 110).

Neben klassischen 4 x 2- und 6 x 2-Sattelzugmaschinen und Fahrgestellen stehen für den TGX weiterhin die Varianten 6 x 4 und 8 x 4 zur Verfügung. Letztere sind vor allem im Schwerlasttransport angesiedelt. Die 4 x 2-Sattelzugmaschine ist darüber hinaus mit dem hauseigenen hydrostatischen Vorderradantrieb »HydroDrive« erhältlich. Während die TGX-Reihe einen Tonnagebereich von 18 t bis 41 t zulässigem Gesamtgewicht abdeckt, sind bei Schwertransportanwendungen sogar bis zu 250 t möglich.

Wenig bis kaum für den Kernbereich der Baubranche, dafür umso wichtiger für klassische Lo­gistikaufgaben, sind die TGL- und TGM-Serien gedacht, die für den leichten und mittleren Tonnagebereich konzipiert wurden.

Der neue TGL deckt mit einer Vierzylinder-Ausführung des D08-Motors und einem Leistungsspektrum von 160 PS bis 220 PS den Tonnagebereich von 7,5 t bis 12 t ab. Wer zusätzliche kraft benötigt, kann auch auf den D08-Sechszylinder mit 250 PS zurückgreifen. Dieser ist zugleich die Einstiegsversion in das Leistungsspektrum des TGM, der mit dem D08-Sechszylinder bis 320 PS reicht. Der Tonnagebereich des TGM knüpft an den des TGL an und reicht von 12 t über 15 t und 18 t bis hin zu 26 t zulässigem Gesamtgewicht.

Das Fahrerhaus im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

Nicht weniger als acht verschiedene Fahrerhäuser bietet MAN mit seiner neuen Truck-Generation an. Den meisten Platz stellen laut Hersteller die drei Großraumkabinen, die die Bezeichnungen GX, GM und GN tragen, zur Verfügung. GX und GM sollen mit 2,44 m Außenbreite ideal für lange Fahrten.

Ein weiterer wichtiger Punkt für die Anwender war laut MAN der Stauraum: In der GX-Kabine mit der höchsten Dachvariante summiert sich das Platzangebot laut Herstellerangaben auf 355 l Fassungsvermögen. Was vor allem hochgewachsenen Fahrern zugute kommen dürfte, ist die überdurchschnittliche Stehhöhe von 1,87 m, beim GX sogar 2,07 m. Im Baugewerbe liegt der Schwerpunkt nach Ansicht vieler Fahrer auf einer optimalen Übersichtlichkeit und geringem Eigengewicht. Von hoher Bedeutung seien außerdem ein komfortables und ergonomisches Ein- und Aussteigen bei häufigen Lieferstopps. Auf diese speziellen Anforderungen hin entwickelte MAN die neuen, 2,24 m schmalen Fahrerhäuser für die Baureihen TGL, TGM und TGS.

Das neue FM-Fahrerhaus erfüllt MAN zufolge den Wunsch nach geringem Gewicht und Kompaktheit, genüge aber mit seiner identischen Länge und dem Hochdach wie bei dem GM-Fahrerhaus den Anforderungen an Wohn- und Schlafkomfort. Das neue NN-Fahrerhaus wird beim TGS weiter die meist gewählte Variante sein. Typische Beispiele aus der Baubranche sind Kipper oder Transportmischer. Trotz kompakter Länge von 1,88 m bietet es laut MAN ausreichend Platz hinter den Sitzen für Arbeitskleidung und -werkzeuge. Ebenso bautypisch und robust verfügen die neuen Fahrerhäuser in mittelhoher oder hoher Chassisausführung über einen dreiteiligen Stahlstoßfänger. Im Fall eines größeren Anfahrschadens können die Teile abschnittsweise getauscht werden. Als ebenso einsatzorientiert erweisen sich laut MAN die Einstiege, deren unterste flexibel gelagerte Stufen stärkere Stöße beschädigungsfrei überstehen sollen.

Auch Produktion und Vertrieb wurden erneuert

Die neue Truck-Generation soll aber nicht nur die Platzierung neuer Produkte am Markt bedeuten. Mit ihr gehen auch umfassende Neuerungen in Produktion und Vertrieb einher. Um für die Serienproduktion der neuen Trucks startklar zu sein, und in der Übergangsphase bis Ende 2020 zeitgleich die bisherigen Modelle anzubieten, investierte MAN eigenen Angaben zufolge in München allein rund 100 Mio. Euro in den Karosseriebau. Pro Tag entstehen dort bis zu 500 Fahrerhäuser der neuen Baureihen und der bisherigen TG-Serie. Weitere Investitionen in Höhe von 85 Mio. Euro flossen in die neue Fahrerhauslackiererei des Stammwerks.

Im Werk im österreichischen Steyr, wo weiter die Baureihen TGL und TGM vom Band laufen, wurde ebenfalls eine neue Lackiererei in Betrieb genommen. Sämtliche Kunststoffanbauteile für das gesamte MAN-Produktionsnetzwerk werden künftig ausschließlich dort lackiert. Neben der Produktion hat MAN überdies den Angebotsprozess neu ausgerichtet. Im Zentrum steht ein grundlegender Methodenwechsel in der Produktlogik, der sich in neuen Konfigurationsverfahren und -werkzeugen manifestiert. Kerngedanke ist, bei der Angebotserstellung konsequent die individuelle Transportaufgabe des Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Flexible Konfigurationsmöglichkeiten sollen dabei helfen, aus einem neuen TGX, TGS, TGM oder TGL den exakt zur Transportaufgabe passenden Truck zusammenzustellen. MAN Individual bietet darüber hinaus Möglichkeiten zur Fahrzeugveredelung und kundenindividuellen Sonderanpassungen ab Werk.    d

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