Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. Unruhige Zeiten, aber keine Krise

Pressemitteilung | Lesedauer: min | Bildquelle: HDB
Von: Dan Windhorst

Die politische und zuweilen wirtschaftliche Bühne gleicht derzeit einem Flickenteppich. Und auch die sonst so widerstandsfähige Bauwirtschaft muss für 2023 insbesondere im Wohnungsbau mit einem Blechschaden rechnen. Grund dafür sind die zu hohen Baukosten, der Inflationsanstieg und eine generelle Verunsicherung der Investoren. Von einer Krise möchte Peter Hübner, Präsident beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) sowie Vorstandsmitglied der Strabag AG (Köln), in diesem Zusammenhang aber trotzdem nicht sprechen. Im Gespräch mit bauMAGAZIN-Chefredakteur Dan Windhorst zeichnet er ein ehrliches Bild der aktuellen Lage und erklärt, dass »gerade das politische Parkett viele Hausaufgaben zu machen hat«, während von der Baubranche in diesem noch jungen Jahr genau das zu erwarten ist, was sie schon immer getan hat: die Dinge anpacken, statt den Kopf in den Sand zu stecken.

bauMAGAZIN: Herr Hübner, die Bauwirtschaft erlebt unruhige Zeiten – hohe Materialkosten und gestiegene Bauzinsen haben die Zahl der Baugenehmigungen deutlich sinken lassen. Als gebürtiger Norddeutscher spreche ich in diesem Zusammenhang gern von einer »rauer werdenden See«, einhergehend allerdings mit der Hoffnung, dass die Politik hier als richtungsweisender Leuchtturm fungiert. Wie beurteilen Sie das?

Peter Hübner: »Unruhige Zeiten« ist das Stichwort. Dieser Tage wird gern von einer Krise gesprochen, aber genau davon sind wir weit entfernt. In der Vergangenheit hat es wahrhaftig Krisen gegeben, nun müssen wir aber genau hinschauen und die Situation richtig einordnen. Die teils drastisch gestiegenen Material-, Energie- und Transportpreise haben der Bauwirtschaft zugesetzt. Aber auch hier muss klar unterschieden werden: Die Bauindustrie setzt sich aus Wirtschaftsbau, öffentlichem Bau und Wohnungsbau zusammen. Letzterer musste Materialpreissteigerungen von über 20 % hinnehmen, was durchaus zur Schieflage beiträgt. In vielen Bereichen relativiert sich das aber gerade. Die Preise für Stahl beispielsweise sind in den vergangenen Wochen um 30 % bis 40 % gesunken und auch der Gaspreis pendelt sich ein. Irgendwann das Preis-Niveau von 2019 zu erreichen ist nicht realistisch, aber der Markt bewegt sich für den Moment in eine mutmachende Richtung. Darüber hinaus lässt sich die Bauwirtschaft nicht pauschalisieren. Der Wohnungsbau ist durchaus das Sorgenkind und wird es angesichts der politisch gesteckten Ziele, jährlich 400 000 neue Wohnungen zu bauen, auch bleiben. Das, was wir 2021 und 2022 nicht erreicht haben, wird auch 2023 utopisch bleiben.

bauMAGAZIN: Woran liegt das? Was genau ist da schiefgelaufen?

Hübner: Wir können bauen, wir wollen bauen – aber die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht. Der Bund und insbesondere die Länder haben noch nicht das geliefert, was notwendig ist, um wirklich mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Keine Luftschlösser, sondern Wohnungen müssen gebaut werden, damit die Mieterinnen und Mieter nicht im Regen stehen. Bei den ambitionierten Zielen der Bundesregierung kommen wir daher am seriellen, industriellen Bauen nicht vorbei. Nur so können wir zügig, hochwertig und kostengerecht neuen Wohnraum schaffen. Unsere Forderung ist klar und kostet keinen einzigen Cent extra. Nur den Mut und den Willen der Bundesländer. Denn sie müssen ihre Landesbauordnungen endlich harmonisieren, damit wir industriell in Serie und mit einem technologieoffenen Mix an bewährten, recycelten und neuen Baumaterialien bundesweit bezahlbares Wohnen ermöglichen können. Darüber hinaus brauchen wir endlich eine verlässliche Förderkulisse, um nicht nur Wohnraum, sondern auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das ist das Ziel der Bundesregierung, und daran sollte sie sich messen lassen.

 

Die Baubranche gilt als eines der Zugpferde der deutschen Wirtschaft und hat gerade in der Corona-Krise mit Beständigkeit und Zuverlässigkeit gepunktet.

bauMAGAZIN: Die Bauindustrie wirkt grundsätzlich recht zwiegespalten: Auf der einen Seite zwingen die genannten Energie- und Materialpreise zum »Fahren auf Sicht«. Und auf der anderen Seite muss in diesem Land an allen Ecken und Kanten gebaut werden. Eine solche Ambivalenz schafft natürlich Verunsicherung. Wie nimmt der HDB das wahr?

Hübner: Derzeit muss zwischen aktueller und künftiger Situation unterschieden werden. Die Geschäftserwartung ist kritisch, während der momentane Auftragsbestand ein hohes Niveau hält. Zweifelsohne bringt das Verunsicherungen mit sich. Das Delta zwischen momentaner Lage und erwarteter Prognose ist schlichtweg zu groß. Das hatten wir schon lange nicht mehr. Trotzdem bleibe ich dabei, hier nicht von einer Krise zu sprechen. Immer wieder hören wir auch von drohenden Entlassungswellen, für die Bauindustrie sehe ich das aber nicht. Im Gegenteil. Wir sind vielmehr gut beraten, händeringend nach Fachkräften zu suchen und uns personell für den hohen Baubedarf in Deutschland zu wappnen.

bauMAGAZIN: Die Bauwirtschaft hat wahrlich goldene Zeiten hinter sich. Der »Bau-Boom« der vergangenen Jahre hat allerdings auch eine Vielzahl an Start-ups mit sich gebracht – insbesondere im Bereich der Digitalisierung. Nun raten Wirtschaftsexperten den Newcomern dazu, in Deckung zu gehen und sich für schwierige Zeiten zu wappnen. Wie sehen Sie das? Wozu würden Sie einem jungen Start-up-Unternehmer derzeit raten?

Hübner: Die Bauwirtschaft zählt zur Old Economy, und das sage ich völlig wertefrei. Wir sind Erbauer, keine Digitalisierungsprofis. Und genau deshalb brauchen wir junge Nachzügler, die dazu in der Lage sind, alte Denkmuster zu durchbrechen. Trotz der aktuellen Situation kann ich jungen Unternehmern nur anraten, am Ball zu bleiben, ohne sich zu verheben. »Gier frisst Hirn« ist eine Erkenntnis, die auch heute noch Geltung hat: Nach den Sternen zu greifen ist schön und gut – durchfinanziert sollten Träume aber trotzdem sein. Steht diese Basis, sehe ich für Start-ups innerhalb der Baubranche nahezu unendliche Möglichkeiten, sich zu entfalten und innovative Lösungen voranzubringen.

bauMAGAZIN: Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie gilt als »Stimme des Bauens« gegenüber der Politik. Kürzlich hatten Sie beispielsweise die Gelegenheit, mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck über grundlegende Themen der Bauindustrie zu sprechen. Können Sie unseren Lesern einmal genauer erklären, wie Sie die Anliegen der Baubranche gegenüber politischen Instanzen vertreten und wie man sich die Zusammenarbeit auf Bundes- sowie Länderebene vorstellen kann?

Hübner: Der Hauptverband dient als Zusammenschluss unserer Landesverbände und ist letztlich als Dachverband in Berlin verortet. Damit werden wir einerseits dem Föderalismus gerecht, andererseits wahren wir die Nähe zu den Kommunen und Ländern und erhalten ein genaues Stimmungsbild aus den Regionen. Hier in der Hauptstadt sind wir nah an der Bundesregierung dran, haben einen direkten Draht zur Politik und können unsere Anliegen auf Augenhöhe diskutieren. In den vergangenen Jahren haben wir viel unternommen, um noch sichtbarer zu werden. Mit unserem Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller haben wir zum Beispiel auch einen guten Draht zu den jüngeren Abgeordneten im Bundestag.


bauMAGAZIN: Gerade zu Beginn der Corona-Krise hat sich die Bauwirtschaft als wahre Dampflok der deutschen Wirtschaft erwiesen. Momentan wirkt es aber so, als betrachte die Bundesregierung die Baubranche als Selbstläufer. Teilen Sie diese Ansicht? Hat die Bauwirtschaft in den vergangenen Jahren schlichtweg »zu gut« funktioniert?

Hübner: In den letzten Jahren ist durchaus was passiert, das betrifft vorrangig die großen Investitions- und Infrastrukturprogramme. Mittlerweile muss man das aber im Kontext sehen. Die Bundesregierung hat schlichtweg zu viele »Kriegsschauplätze«. Seit 2020 erleben wir die Covid-19-Pandemie, nun herrscht Krieg in der Ukraine, die Inflationsrate ist drastisch gestiegen – das alles muss berücksichtigt werden. Trotzdem kann und muss kritisiert werden, dass die Entscheidungsprozesse zu lange dauern. Die Regierung muss begreifen, dass Unaufschiebbares wie der Breitbandausbau, die Fertigstellung der Energietrassen, die Modernisierung des Bahnnetzes sowie der Straßen und Brücken nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden kann. Wenn der gesamte Transformationsprozess gelingen soll, muss mehr investiert werden. In diesem Zusammenhang ärgert mich, dass beispielsweise Anfang Januar ein Mobilitätsgipfel anberaumt wurde, die Verbände dazu aber erst gar nicht eingeladen wurden. Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass die eigentlichen Fachleute der Bauindustrie nicht mit am Tisch sitzen. Der Regierung muss grundsätzlich klar sein, dass all die genannten Vorhaben der Modernisierung und Instandhaltung mit der bisherigen Behäbigkeit und den aktuellen Budgets nicht gelingen. Allein die enorme Preissteigerung frisst rund 20 % der geplanten Bauleistungen auf.

bauMAGAZIN: Welche Hebel müssen Ihrer Ansicht nach jetzt in Bewegung gesetzt werden? Können Sie das für mich konkretisieren?

Hübner: Ein Grundproblem, über das wir bereits seit vielen Jahren sprechen, ist der langwierige Vergabeprozess. Im öffentlichen Bau, etwa bei der Umsetzung konkreter Infrastrukturprojekte, wird bis zum letzten Pflasterstein geprüft und ausgeschrieben. Tatsächlich müsste die Regierung ein Bauwerk lediglich funktional beschreiben – die Planung würde die Branche selbst übernehmen. Getreu dem Motto »Wir sind die Profis, lasst uns das mal machen.« Konkret fordern wir für den Wohnungsbau, dass die Bundesregierung eine vernünftige Förderungskulisse schafft. Die Investoren halten sich bewusst zurück, sie warten, wie schon erwähnt, auf neue Förderungen. Dabei darf es sich aber nicht, wie zuletzt, um Fördertöpfe handeln, die bereits wenige Stunden nach Inkrafttreten ausgeschöpft sind. Bereits vor einiger Zeit haben wir die Zahl von 15 Mrd. Euro genannt, um ein Bauförderungsprogramm auf den Weg zu bringen, das investitionsfähig bleibt. Und das ist Geld, das ich angesichts der aktuellen Situation für extrem gut angelegt halte. Darüber hinaus haben wir uns für eine finanzielle Aufstockung des Infrastrukturprogramms von 18 Mrd. Euro auf 25 Mrd. Euro ausgesprochen.

bauMAGAZIN: Eine abschließende Frage, die dieser Tage zwar schwerfallen dürfte, vielen unserer Leser jedoch unter den Fingernägeln brennt: Was haben wir für 2023 zu er­warten? Worauf müssen sich Bauunternehmer, Hausbauer und Handwerker einstellen?

Hübner: Wir werden Bauleistung einbüßen müssen, ein Minus von 6 % halte ich für realistisch. Hinzu kommt die extreme Inflation. Trotzdem bleibe ich optimistisch – wir müssen uns innerhalb der Bauwirtschaft auf unsere Stärken verlassen. Sie hatten es bereits angesprochen: Gerade in der Corona-Zeit war die Baubranche ein Motor der Wirtschaft. Wir sind stolz darauf, so gut durch die Krise gekommen zu sein. Am Bau wurde über die gesamte Pandemie hinweg komplett durchgearbeitet, und das wird in Zukunft nicht anders sein. Ich denke, es wird einige Monate dauern, bis der Markt für den Wohnungsbau wieder anspringt. Eine längere Durststrecke dürften sich das Land und die Investoren letztlich nicht leisten können. Wir sehen die Situation weniger kritisch, wissen aber auch, dass auf dem politischen Parkett viele Hausaufgaben zu machen sind.    d

 

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