Güteschutzverband: »Die Schalungs- und Gerüstbranche durchlebt eine intensive Entwicklungsphase«

Die digitalisierte Baustelle der Zukunft hat noch einen langen Weg vor sich.

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»Bauen 4.0« – das bedeutet weg von analogen Maschinen und verstaubten Aktenordnern und hin zu hoch technologisierten Arbeitsabläufen sowie flächendeckender Vernetzung. Obwohl es laut Christoph Motzko, Vorstandsvorsitzender des Güteschutzverbandes Beton­schalungen (GSV) und Professor an der TU Darmstadt, noch immer an »individuellen Strategien für den flächendeckenden Digitalisierungsprozess« hapert, bewertet er den digitalen Wandel in der Bauindustrie äußerst positiv. So denke die Schalungs- und Gerüstbranche – neben Nachhaltigkeit bei der Materialauswahl oder der Implementierung von »Building Information Modeling« (BIM) – mittlerweile auch über Technologien zum Formen von Beton in Verbindung mit 3D-Druckern sowie den Einsatz von Prozessdetektion mithilfe polysensoraler Systeme nach. Im Gespräch mit Redaktionsmitglied Dan Windhorst spricht Professor Christoph Motzko über diese jüngsten Entwicklungserfolge und darüber, wie intelligente Lösungen aus seiner Sicht für zukunftssichere Bauprozesse sorgen.

bauMAGAZIN: Die Vielfalt an Schalungssystemen ist groß: Universalschalungen, Standardschalungen wie Träger- und Rahmenschalungen sowie Spezialschalungen wie Gleit- und Kletterschalungen. Lassen sich dabei Systeme aufgrund innovativer Ideen besonders hervorheben? Oder anders gefragt: Wohin geht der Trend in der Schalungsbranche?

Christoph Motzko: Die Schalungs- und Gerüstbranche arbeitet kontinuierlich an Verbesserungen und Innovationen. Das primäre Ziel ist dabei die Steigerung der Effektivität und der Effizienz von Prozessen auf der Baustelle unter besonderer Beachtung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Belange der Umwelt. Das gegenwärtig beherrschende Thema im Kontext der Arbeitssicherheit ist der Bereich »Absturz« und die damit verbundenen Produktentwicklungen. Das Schalungs- und Gerüstmaterial wird aus recycelbaren Werkstoffen hergestellt, um den Anforderungen der Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Das Thema Logistik wird mit Nachdruck bearbeitet. Neue Systeme aus Faserverbundwerkstoffen sind aufgekommen. Die Ergonomie der Systeme wird stetig verbessert, um die Belastungen und Beanspruchungen von Arbeitskräften zu reduzieren. Eine der maßgeblichen Erfolgsgrößen der Gegenwart ist die angebotene Dienstleistung. Insofern geht es um die Entwicklung von Werkzeugen der Planung und der Steuerung sowie um die Unterstützung bei der Konzeptionierung von intelligenten Lösungen für das jeweilige Bauprojekt. Die Schalungsbranche ist hier sehr innovativ und hat den Bereich der Digitalisierung schon lange aufgenommen. Ein BIM-Fachmodell Schalungs- und Gerüsttechnik (Ortbetonbauweise) wurde entwickelt und befindet sich in der Implementierungsphase. Die Branche denkt aber auch über neue Technologien des Formens von Beton zum Beispiel im Kontext des 3D-Drucks nach. Zusammenfassend lässt es sich konstatieren, dass die Schalungs- und Gerüstbranche eine intensive Entwicklungsphase durchlebt. Und diese gestaltet sie aktiv.

bauMAGAZIN: Ein großes Leitthema ist dieser Tage das »Building Information Modeling«. Mit BIM lassen sich alle Bauwerksdaten digital modellieren, kombinieren und erfassen. Wie schätzt der GSV in diesem Zusammenhang das Thema der digitalisierten Baustelle ein?

Motzko: Der Komplex der Digitalisierung stellt für den GSV seit vielen Jahren einen konstanten und relevanten Punkt seiner Arbeit dar. So hat der Verband mehrere Forschungsprojekte im Bereich der digitalen Prozessdetektion mithilfe polysensoraler Systeme auf Baustellen gefördert. Durch die Verfügbarkeit von Software-Planungswerkzeugen für die hoch entwickelten Schalungs- und Gerüstsysteme wurde das hohe Potenzial für eine Integration in das »Building Information Modeling« (BIM) erkannt. Im Jahr 2014 wurden im Rahmen des Verbandes erste Arbeiten an einem BIM-Fachmodell aufgenommen. Im Ergebnis dieser Vorarbeiten gab es zusammen mit den Unternehmen der Bauwirtschaft, dem Deutschen Beton- und Bautechnik-Verein, den Softwareherstellern sowie dem Institut für Baubetrieb der Technischen Universität Darmstadt Integrationsarbeiten, die innerhalb des building­SMART e. V. abgeschlossen wurden. Die logische Fortentwicklung dieses intensiven und branchenübergreifenden Arbeitsprozesses ist die Statuierung der erzielten Ergebnisse als Blatt 11.3 »BIM-Fachmodell Schalungs- und Gerüsttechnik (Ortbetonbauweise)« zur VDI-Richtlinie »2552 Building Information Modeling«, die Dezember 2018 in die Gründruckphase überführt wurde.

bauMAGAZIN: Die Bereitschaft zur Implementierung von BIM scheint bei den Unternehmen zwar groß zu sein – mit der flächendeckenden Umsetzung hapert es aber noch. Teilen Sie diese Einschätzung und falls ja, warum ist das so?

Motzko: Diese Frage ist meines Erachtens im Zusammenhang mit der Digitalisierung insgesamt zu beantworten. BIM ist letztlich nur eine Arbeitsmethode. Die Bauwirtschaft erlebt gegenwärtig auf dem deutschen Markt für Bauleistungen ein Konjunkturhoch, das unter anderem durch eine deutliche Verknappung der Bauressourcen und einen signifikanten Anstieg des Baupreisindex ablesbar ist. Gleichzeitig wird der Bauwirtschaft jedoch eine stagnierende Arbeitsproduktivität attestiert, sie ist im sogenannten Digitalen Index im hinteren Bereich (Wert von 1,5 bei maximal 4) platziert. Wenn in Betracht gezogen wird, dass der Bauingenieur Konrad Zuse mit der Entwicklung der »Z3« im Jahre 1941 den ersten funktionstüchtigen, vollautomatischen und frei programmgesteuerten Computer der Welt gebaut hat und in der Folgezeit eine Vielzahl von Softwaresystemen für die unterschiedlichsten Arbeitsgebiete des Bauwesens entwickelt wurden, steht außer Zweifel, dass die Anwendung digitaler Methoden und Werkzeuge grundlegend für das Bauen ist. Sie sind in allen Unternehmen der Bauwirtschaft, vom Kleinstunternehmen bis zum Konzern, im Einsatz. Was gegenwärtig fehlt, und das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie, die an meinem Institut vor kurzem abgeschlossen wurde, sind individuelle Strategien für den Digitalisierungsprozess in den Bauunternehmen. Das ist meines Erachtens das wesentliche Defizit.

bauMAGAZIN: Auch die Schalungsbranche steht vor dem Problem, dass die Arbeit am Bau immer schneller, effektiver und gleichzeitig aber eben auch kostensparender vonstatten gehen soll. Gibt es da Grenzen? Könnte das »schneller sein« auf Kosten der Bauqualität gehen?

Motzko: Bauwerke müssen definierte Anforderungen bezüglich Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit, Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit erfüllen. Die Arbeitsprozesse auf der Baustelle, und darauf habe ich bereits hingewiesen, sind unter Wahrung der ergonomischen Grundsätze sowie der Regeln des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auszuführen. Selbstverständlich gilt auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit. Wenn die Qualität als Integral dieser Anforderungen begriffen wird, steht diese nicht zur Disposition. Bezogen auf die angewendeten Schalungen und Gerüste gilt, dass diese den definierten Zielevektor zu erfüllen haben. Auch in Bezug auf die Systementwicklungen. Der GSV betreibt daher seit einigen Jahren eine Qualitätsoffensive. Das seit 1995 bestehende und als EU-­Kollektivmarke geschützte Qualitätssiegel »GSV geprüft« ist mit strenger Qualitätssicherung verbunden und ein Synonym für qualitativ hochwertige und arbeitssichere Schalungsprodukte. In Bezug auf die Effizienz, die Effektivität und die Output-Qualität von Prozessen ist auf die Lean Construction hinzuweisen. Viele Bauunternehmen haben diese Methode für sich erschlossen und setzen sie mit gutem Erfolg um. Die Schalungsbranche wirkt aktiv mit.


bauMAGAZIN: Im November fand das 28. Kassel-Darmstädter Baubetriebsseminar Schalungstechnik statt. Was waren dort die wichtigsten Themen?

Motzko: Das Kassel-Darmstädter Baubetriebsseminar Schalungstechnik wurde von den Professoren Hoffmann sowie Keil ins Leben gerufen und ist von Beginn an eine wichtige Institution des Austausches der Branche bezüglich neuester technischer Entwicklungen. Die Veranstaltung wird seit geraumer Zeit von Professor Franz, Dr. Fricke und meiner Person organisiert. Der GSV ist ideeller Mitveranstalter. Die diesjährige Tagung beschäftigte sich zunächst mit dem seit Januar 2018 geltenden neuen Baurecht. Über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich des Sichtbetons wurde zusammen mit den praktischen Erfahrungen bei der Anwendung dieser Technologie bei Ingenieurbauwerken berichtet. Die Novellierungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Schalungs­ankernorm wurden ausführlich erläutert. Es folgten technologische Vergleiche zwischen der Ortbeton- und der Halbfertigteilbauweise sowie Berichte zu ausgewählten Aspekten der Errichtung von Hochhäusern. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird jedes Jahr ein Spannungsbogen zwischen den aktuellsten Themen der Praxis und der Wissenschaft, verbunden mit einem neugierigen Blick »über den Tellerrand«, offeriert. In diesem Jahr konnte eine Rekord-Teilnehmerzahl verzeichnet werden.

bauMAGAZIN: Im Bereich der Arbeitssicherheit kooperiert der GSV mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Was ist Bestandteil dieser Kooperation?

Motzko: Dass der Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eine wichtige Komponente im Wirken des GSV bildet, ist offensichtlich. Die logische Folge davon ist ein intensiver Austausch zwischen der DGUV/BG BAU und dem GSV und dessen Mitgliedsunternehmen. Eine besondere Anerkennung dieser Zusammenarbeit war die Mitwirkung der GSV-Vertretung im Unterausschuss zur Überarbeitung der TRBS 2121-1 »Gefahr durch Absturz«. Weiterhin ist die Repräsentanz des GSV aktiv im Rahmen des periodischen Deutschen Fachkongresses für Absturzsicherheit. Seit geraumer Zeit besteht zum Komplex des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ein intensiver Austausch mit Verbänden aus China, Japan und den USA, unter anderem im Rahmen der unter der Federführung des GSV periodisch organisierten Internationalen Konferenz Schalungen und Gerüste.

bauMAGAZIN: Ein zentrales Thema der letzten Jahre ist für den GSV das Arbeiten auf internationaler Bühne: Der Verband ist aktiv an der Erarbeitung und Weiterentwicklung europäischer Normenwerke beteiligt. Wo sehen Sie in Europa den größten Handlungsbedarf bzw. was sind die Aufgaben der Zukunft?

Motzko: Die Mitwirkungen an der Schaffung und Fortentwicklung des europäischen Normenwerkes bildet eines der Basisziele des GSV. So sind Repräsentanten des GSV unter anderem im CEN/TC 53 auf deutscher und europäischer Ebene, im Arbeitskreis zur Novellierung der DIN 18 216 Schalungsanker sowie im SVA Gerüste des DIBt aktiv. Eine anspruchsvolle Tätigkeit ist im Rahmen der Novellierung der Normenreihe 128XX zu erwarten. Insofern sind die Mitgliedsunternehmen und der GSV in denen für die Schalungs- und Gerüsttechnik relevanten Arbeitsbereichen tätig. Es besteht kein Zweifel darüber, dass der Integrations- und Harmonisierungsprozess des europäischen Normenwerks ein kontinuierlicher und sehr anspruchsvoller Prozess bleiben wird. Dieser Prozess wird auch keinen Abschluss finden, denn das Normenwerk befindet sich in einer permanenten Entwicklung.

bauMAGAZIN: Zu den Mitgliedern: Alles was Rang und Namen in der Schalungsbranche hat, ist im GSV vertreten. Wie schätzen Sie den Austausch untereinander ein – wird der Verein aktiv als Plattform genutzt?

Motzko: Die Mietgliederstruktur des GSV wächst kontinuierlich und weist heute global agierende Systemschalungshersteller auf, ebenso wie renommierte Zulieferer, Schalungsanwender sowie Einrichtungen aus dem Bereich Forschung und Bildung. Insofern handelt es sich um eine vielschichtige Mitgliederstruktur. Das gemeinsame Interesse besteht in der Schaffung von international einheitlichen Standards für Betonschalungen im Sinne von Qualität und Arbeitssicherheit, in der Erschließung neuer Organisationsformen des Bauens, welche infolge der Digitalisierung sich vermutlich bilden werden sowie in der Diskussion über zu erwartende technologische Entwicklungen. Hierzu finden vielschichtige und intensive Aktivitäten statt, wie zum Beispiel die zuvor erwähnte interorganisationale Arbeit am BIM-Fachmodell Schalungs- und Gerüsttechnik. Für einen ständigen Wissenstransfer sorgt die GSV-Akademie. Das deutlich gewachsene Aufgabengebiet und der geografische Aktionsradius haben dazu geführt, dass der GSV seine Verbandssatzung auf eine internationale Basis gestellt hat und seit Juli 2015 den Namen Güteschutzverband Betonschalungen Europa trägt.    ™

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