Der neue Actros SLT und Arocs SLT: »Die Krönung im Nutzfahrzeugbau«

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Die drei- oder vierachsigen Sattelzugmaschinen mit Euro-6-Technologie werden vom neuen Reihensechszylinder OM 473 mit 15,6 l Hubraum und 460 kW (625 PS) angetrieben. Das maximale Drehmoment ­beträgt 3 000 Nm. Laut Mer­cedes-Benz »einzigartig für eine Schwerlastzugmaschine« ist das 16-gängige PowerShift-Getriebe für eine feinstufige Abstimmung beim Schalten. Die Brems­leistung von Retarder und ­Motorbremse liege zusammen bei 720 kW beziehungsweise 979 PS. Dabei sei die Leistung der normalen Betriebsbremse noch nicht einmal eingerechnet. Die Produktion startete im vergangenen Dezember im elsässischen Mercedes-Benz Werk in Molsheim, dem Sitz von »Custom Tailored Trucks« (CTT).


Im dem Werk, das eng in den Produktionsverbund von Mercedes-Benz Lkw eingebunden ist, wurden seit der Jahrtausendwende mehr als 150 000 Trucks nach spezifischen Kundenwünschen passgenau entwickelt und modifiziert. Von der technischen Kundenberatung, über Konzeption und Entwicklung bis zur Produktion und Montage – alles übernimmt die Mannschaft in Molsheim. Das Angebot beschränkt sich dabei nicht allein auf Actros und Arocs, sondern gilt für alle Produkte, die im Werk Wörth vom Band rollen: Auch Antos, Axor, Atego, Econic und Zetros werden von den Spezialisten für verschiedenste Anwendungen ganz individuell nach Kundenwunsch umgebaut.Yaris Pürsün, Leiter des Lkw-Werks Wörth und Leiter von Mercedes-Benz Special Trucks erläuterte das Zusammenspiel der beiden Werke: »Der Umbau-Anteil von CTT an der Wörther Gesamtproduktion liegt bei durchschnittlich 20 %. Durch die Auslagerung der maßgefertigten Trucks nach Molsheim reduzieren wir die Komplexität im Werk Wörth erheblich und steigern somit unsere Effizienz.« Gleichzeitig stehe CTT mit seiner hohen Kompetenz als Garant für passgenaue und einzigartige Lösungen. In Molsheim gelte das Motto »Geht nicht, gibt’s nicht, denn unsere Mitarbeiter erfüllen selbst die anspruchsvollsten Wünsche.«


»Setzen Maßstäbe«

Mit der neuen Schwerlast-Zugmaschine SLT komplettiert Mercedes-Benz Lkw seine A-Mannschaft und »krönt« das rundum erneuerte Programm aus Actros, Arocs, Antos und Atego zum Start der Abgasstufe Euro 6. Beim SLT handelt es sich um eine Eigenentwicklung von Daimler Trucks mit einer Fülle von technischen Innovationen. Ob Motor, Kühlanlage, Turbo-Retarder-Kupplung oder das vollautomatisierte 16-Ganggetriebe mit speziellen Fahrprogrammen – »der Hightech-Truck mit Stern kombiniert Bärenkräfte mit Fingerspitzengefühl, höchste Leistung mit zentimetergenauer Präzision und setzt neue Maßstäbe in seinem Segment«, wie es in der Pressemitteilung von Mercedes-Benz Lkw blumig formuliert ist.Ausgelegt auf ein Gesamtzuggewicht von 250 t gibt es den Mercedes-Benz SLT in zahlreichen Konfigurationen mit drei und vier Achsen auf der Basis des Actros mit komfortabler Luftfederung für den Straßeneinsatz und des Arocs mit robuster Parabelfederung für harte Einsätze auf Extrem-Strecken. Ausführungen des SLT mit Allradantrieb als 6 x 6, 8 x 6 und 8 x 8 folgen im Laufe des Frühjahrs.


250 t Gesamtzuggewicht

Im Mittelpunkt des SLT-Programms stehen die vierachsigen Ausführungen. In dieser Konfiguration beläuft sich das technisch zulässige Fahrzeuggesamtgewicht auf 41 t, die Einzelachslasten beziffern sich dabei von vorne nach hinten auf 9 t, 8 t und 2 x 13 t. Für Exportmärkte sind höhere Gesamtgewichte der Zugmaschine bis zu 48 t beim Arocs 8 x 8 möglich. Das zulässige Gesamtzuggewicht beträgt für alle Modelle 250 t. Der SLT ist als extrem robuste Hightech-Schwerlastzugmaschine auf höchstmögliche Beanspruchung ausgelegt. Wer darauf verzichten kann und Gesamtzuggewichte bis 120 t fährt sowie überwiegend auf leichter Topografie unterwegs ist, kann den SLT auch als Semi-SLT ohne Turbo-Retarder-Kupplung und ohne Zusatzkühlanlage fahren.


Das Rückgrat des neuen SLT bildet ein verstärkter Rahmen. Je nach Ausführung beträgt die Rahmenbreite 834 mm mit 8 mm Stärke der Längsträger (Actros SLT mit Luftfederung) oder 744 mm mit 9 mm Längsträgerstärke (Arocs SLT mit Parabelfederung). Hinzu kommen speziell für den SLT entwickelte Verstärkungen. Die Längsträger sind ungeschweißt und bestehen aus kalt verformtem Feinkornstahl. Der neue SLT ist mit unterschiedlichen Sattelkupplungen verfügbar, auf Wunsch ergänzt durch eine Verschiebeeinrichtung zur Optimierung der Achslasten je nach Beladung.


Angetrieben wird der neue SLT vom Reihensechszylindermotor OM 473, der mit 15,6 l Hubraum, maximal 460 kW (625 PS) Leistung sowie bis zu 3 000 Nm Drehmoment die neue Motorengeneration von Mercedes-Benz krönt. Das Triebwerk, dessen Nenndrehzahl mit lediglich 1 600 U/min außergewöhnlich niedrig ist, steht in drei ­Leistungsstufen zur Verfügung. Das bedeutet enorme Leistung im Hauptfahrbereich. Bereits knapp oberhalb der Leerlaufdrehzahl stehen in allen Ausführungen rund 2 500 Nm Drehmoment an.


Zu den technischen Feinheiten des Triebwerks zählt die Turbocompound-Technik. Sie ist eine der wesentlichen Ursachen für die hohe Performance des Motors. Der Begriff Turbocompound steht für eine zweite, dem Abgasturbolader nachgeschaltete Turbine. Sie nutzt die weiterhin vorhandene Abgasenergie nach Durchströmen des Abgasturboladers zu einer weiteren Effizienzsteigerung. Der Fahrer spürt die Turbocompound-Technik unmittelbar durch den nochmals spontaneren Antritt des Motors bereits bei niedrigen Drehzahlen. Gleichzeitig wird unter hoher Last – typisch für den Einsatz von Schwerlastzugmaschinen – ein Verbrauchsvorteil erzielt. »Dieser Motor ist vor allem auf Effizienz ausgelegt«, erläuterte Produktmanager Julian Wiedmann bei der Präsentation in Wörth. »Vor allem hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs. Aber er ist auch außerordentlich robust und wartungsarm.« Von herausragender Bedeutung im Schwertransport ist die sehr leistungsfähige aufgeladene Dekompressions-Motorbremse »High Performance Engine Brake« des OM 473. Die Leistung der Motorbremse erreicht bis zu 475 kW (646 PS). Damit kann der Fahrer des SLT auch schwere Gewichte im Gefälle sicher und verschleißfrei im Zaum halten.


Die Kraftübertragung übernimmt das Getriebe Mercedes G 280-16 mit PowerShift-Schaltautomatik – das einzige automatisierte Getriebe mit 16 Gängen in einer Schwerlastzugmaschine, so Mercedes-Benz. Für den Einsatz im SLT haben die Entwickler das Getriebe verstärkt, es überträgt das volle Motordrehmoment von maximal 3 000 Nm. 16 eng gestufte Gänge stellen sicher, dass jederzeit die passende Schaltstufe bereitsteht. Aus Übersetzungen von 11,7 im ersten Gang und 0,69 im höchsten Gang resultiert eine große Spreizung von 16,96.


Präzise Schaltautomatik

Der SLT profitiert von der neuesten Generation Mercedes PowerShift 3 mit denkbar einfacher Bedienung per Lenkstockhebel. Die Schaltautomatik schaltet schnell und präzise – die Schaltvorgänge fallen bis zu 20 % kürzer aus als beim Vorgängermodell. PowerShift 3 erkennt auch Schubbetrieb im Gefälle und hält dort den eingelegten Gang zugunsten maximaler Bremsleistung des Motors und der Turbo-Retarder-Kupplung. Die Kriechfunktion von PowerShift 3 mit integriertem Manövriermodus sichert zudem einfaches Anfahren und feinfühliges Rangieren auf den Zentimeter genau.


Fahrermodus »heavy«

Unterschiedliche Fahrprogramme und Fahrmodi sind exakt auf den Einsatz des SLT ausgelegt. So kann man zwischen dem Fahrprogramm »power« oder »heavy« wählen. Innerhalb des jeweiligen Fahrprogramms stehen unterschiedliche Fahrmodi zur Verfügung. Der Fahrmodus »Standard« steht für eine besonders wirtschaftliche Fahrweise, zum Beispiel bei Leerfahrten oder geringen Lasten. Bereits dieser Fahrmodus passt sich an die hohen Tonnagen einer Schwerlastzugmaschine an. Im Fahrmodus »manuell« kann der Fahrer die Gänge selbst auswählen. Im Fahrmodus »Power« werden die Schaltvorgänge bei einem erhöhten Drehzahlniveau ausgeführt.


Eigens für den SLT hat Mercedes-Benz den Fahrmodus »heavy« entwickelt. Hier sind die Schaltpunkte nochmals nach oben verlegt, die Schaltungen erfolgen besonders schnell entsprechend dem aktuellen Drehmomentbedarf, Gänge werden in der Regel nicht übersprungen. Damit meistert der SLT selbst schwerste Fahrsituationen souverän, etwa das Anfahren mit 250 t Gesamtzuggewicht an Steigungen von 10 %. Um bei hügeliger und bergiger Topografie die Geschwindigkeit auch bei schweren Lasten sicher zu halten, kann der Fahrer die serienmäßige EcoRoll-Funktion des Getriebes abschalten. In den Modi »power« und »heavy«“ ist sie vollständig deaktiviert. Ebenso kann der Fahrer das Getriebe per Kickdown beeinflussen.


Verschleißfreies Anfahren

Zu den besonderen Merkmalen des Mercedes-Benz Actros und Arocs SLT gehört die Turbo-Retarder-Kupplung. Sie kombiniert eine hydrodynamische Anfahrkupplung und einen Retarder in einer Komponente. Die Bauweise der Turbo-Retarder-Kupplung ist im Vergleich zu anderen Anfahrsystemen kompakter, sie ist leichter und gleichzeitig dient sie als höchst leistungsfähiger Retarder. Die Turbo-Retarder-Kupplung ermöglicht sowohl feinfühliges und verschleißfreies Anfahren als auch Rangieren bei niedrigsten Geschwindigkeiten – »beides von herausragender Bedeutung bei einer Schwerlastzugmaschine und von großem Vorteil«, so Produktmanager Alexander Hosp.


Im neuen SLT kommt die zweite Generation der Turbo-Retarder-Kupplung zum Einsatz. Sie verfügt über eine nochmals gesteigerte Dynamik und erhöhte Standfestigkeit. So führt eine deutlich verkürzte Entleerungszeit des Öls in der Turbo-Retarder-Kupplung zu einer schnelleren Folgeschaltung und gesteigerter Beschleunigung des beladenen Zugs. Der schnelle Drehmomentaufbau verhindert ungewolltes Zurückrollen beim Anfahren an Steigungen. Im Ergebnis bedeutet die Kombination aus dem kräftigen Motor OM 473 und der Turbo-Retarder-Kupplung der zweiten Generation einen sehr spontanen und dynamischen Antritt und schnelle Reaktion auf Gaspedalbefehle selbst bei hohen Gesamtzuggewichten.


Enorme Bremsleistung des Motors

Die Turbo-Retarder-Kupplung verfügt darüber hinaus über raffinierte Regelungen. So wird das Gehäuse der hydrodynamischen Kupplung situationsabhängig mit einer Öl-Vorfüllung beaufschlagt, etwa im Stand bei eingelegtem Gang in der Ebene zugunsten eines dynamischen Antritts. An Steigungen mit eingelegtem Vorwärtsgang kann der beladene Zug dank einer Vorfüllung zum Rangieren bewusst langsam zurückrollen, die Intensität wird über das Gaspedal geregelt. Dieses sogenannte Abseilen ermöglicht gezieltes Zurückrollen ohne Betätigung der Bremse und damit ohne Verbrauch von Druckluft. Gleichzeitig kann der SLT wieder schnell antreten.


Ohnehin ist bei Zuggewichten bis zu 250 t in vielen Fahrsituationen die Bremsleistung entscheidender als die reine Motorleistung. Der SLT profitiert zunächst von der enormen Bremsleistung seines Motors von bis zu 475 kW (646 PS) mit der High Performance Engine Brake. Der integrierte Primärretarder der Turbo-Retarder-Kupplung leistet maximal weitere 350 kW (476 PS). Zur Schonung des Getriebes ist die Summe der beiden Hochleistungsbremsen des SLT auf eine Systembremsleistung von 720 kW (979 PS) begrenzt. Diese kann jedoch nicht nur bei der Nenndrehzahl, sondern über ein breites Drehzahlband angefordert werden – Gewähr für höchste Sicherheit und maximale Schonung der Betriebsbremsen bei Fahrten selbst mit höchster Tonnage im Gefälle. In der Praxis kann der Fahrer fest auf die hohe Dauerbremsleistung des Fahrzeuges vertrauen, da die installierte Kühlanlage mit Kühlturm hinter der Fahrerkabine in Verbindung mit der Standard-Kühlanlage unter dem Fahrerhaus die entstehende Wärme souverän abführt. Die Kühlung gerät selbst bei Außentemperaturen von 50 °C bei maximaler Motorleistung und niedriger Geschwindigkeit nicht an ihre Grenzen. Da Fahrerhäuser in Schwerlastzugmaschinen Arbeitsplatz und Wohnraum zugleich sind, haben die SLT-Entwickler aus dem breitgefächerten Fahrerhaus-Angebot von Actros und Arocs drei geräumige Fernverkehrs-Fahrerhäuser gewählt. Für den luftgefederten Actros SLT stehen die Fahrerhäuser Giga­Space und Big­Space in 2 500 mm Breite zur Verfügung. Vor allem das Giga­Space-Fahrer­haus überzeugt durch sein üppiges Raumangebot und eine Stehhöhe von bis zu 2,13 m. Die Liegeflächen sind 750 mm breit und bis zu 2 200 mm lang. Auf Wunsch gibt es den SLT mit einem gleichwertigen zweiten Bett im Obergeschoss.


Von Michael Wulf

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